Mai 05, 2011

193 Jahre Karl Marx

Bereits Anfang des Jahres hatte ich mir vorgenommen, die endlose "Geburtstagsreihe" auf diesem Blog auf Persönlichkeiten "jenseits des Anarchismus" auszudehnen, deswegen kamen hier auch schon Taubes, Žižek und (zum 2. Mal) Kant vor. Heute also Marx.Da sich die ohnehin nicht sehr zahlreiche Leserschaft dieses Blogs einerseits aus Linken, andererseits aus Liberal-Libertären zusammen setzt (aber schrieb nicht Rudolf Rocker, der Anarchismus sei die "Synthese von Liberalismus und Sozialismus"?; Die Entscheidung des Abendlandes, Band 1, Hamburg 1949, S.316-317), möchte ich also nicht unbedingt eine der beiden "Parteien" gänzlich vertreiben. Deswegen eine weniger bekannte Episode aus dem Leben Marxens, die beide interessieren könnte: sein Gerichtsprozess am 8. Februar wegen einer "Aufreizung zum Aufruhr und zum Bürgerkriege", der übrigens mit einem Freispruch des Geschworenengerichts endete. Auf den Spuren Thoreaus hatte Marx nämlich zum Widerstand gegen die Staatsgewalt in Form der Steuerverweigerung aufgerufen.

Was war der Hintergrund? Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. hatte, wenige Tage nach Berufung des Grafen Brandenburg zum Ministerpräsidenten, die Verlegung der preußischen Nationalversammlung nach Brandenburg dekretiert. Als diese sich weigerte und weiter im köllnischen Rathaus in Berlin tagte, wurde die Versammlung gewaltsam aufgelöst. Die bald ebenfalls aufgelöste Bürgerwehr war allerdings nicht bereit, der in ein Hotel geflüchteten Versammlung militärische Unterstützung zu gewährleisten, so dass die Nationalversammlung zum passiven Widerstand in Form eines Steuerstreiks aufrief. Hierzu schreibt Marx am 17. November in der Neuen Rheinischen Zeitung:

Keine Steuern mehr!!!

*Köln, 16. November. Alle Zeitungen aus Berlin, mit Ausnahme des "Preußischen Staats-Anzeigers", der "Vossischen Zeitung" und der "Neuen Preußischen Zeitung" sind ausgeblieben.
Die Entwaffnung der Bürgerwehr ist im Geheimratsviertel vollzogen worden, aber nur im Geheimratsviertel. Es ist dasselbe Bataillon, das am [31.] Oktober die Maschinenbauer meuchelmordete. Seine Entwaffnung ist ein Gewinn für die Volkssache.
Die Nationalversammlung ist wiederum durch bewaffnete Macht aus dem Köllnischen Rathause vertrieben worden. Sie begab sich dann in das Mielentz-Hotel, wo sie endlich einstimmig mit 226 Stimmen den unten nachfolgenden Beschluß der Steuerverweigerung faßte.
'Das Ministerium Brandenburg ist nicht berechtigt, über Staatsgelder zu verfügen und Steuern zu erheben, solange die Nationalversammlung nicht in Berlin ihre Sitzungen frei fortsetzen kann. Dieser Beschluß tritt mit dem 17. November in Kraft. - Nationalversammlung vom 15. November.'
Von dem heutigen Tage an sind also die Steuern aufgehoben!! Die Steuereinzahlung ist Hochverrat, die Steuerverweigerung erste Pflicht des Bürgers!"
(nach MEW, 6, S.30)

In seiner Verteidigungsrede sagt Marx dazu folgendes aus:
"Meine Herrn! Das öffentliche Ministerium hat die Steuerverweigerung als eine Maßregel bezeichnet, 'welche die Grundvesten der Gesellschaft erschüttre'. Die Steuerverweigerung hat mit den Grundvesten der Gesellschaft nichts zu tun.
Woher kömmt es überhaupt, meine Herrn, daß die Steuern, die Verwilligung und die Verweigerung der Steuern eine so große Rolle spielen in der Geschichte des Konstitutionalismus? Es erklärt sich dies sehr einfach. Wie die Leibeignen mit barem Gelde ihre Privilegien erkauften von den Feudalbaronen, so ganze Völker von den Feudalkönigen. Die Könige bedurften Geld in den Kriegen mit den auswärtigen Völkern und namentlich in ihren Kämpfen gegen die Feudalherrn. Je mehr sich der Handel und die Industrie entwickelte, desto mehr bedurften sie des Geldes. In demselben Maße entwickelte sich aber der dritte Stand, der Bürgerstand, in demselben Maße hatte er über größere Geldmittel zu verfügen. In demselben Maße kaufte er vermittelst der Steuern den Königen mehr Freiheiten ab. Um sich diese Freiheiten zu versichern, behielt er sich das Recht vor, die Geldleistungen in gewissen Terminen zu erneuern - das Steuerbewilligungs- und Verweigerungsrecht. In der englischen Geschichte namentlich können Sie diese Entwicklung bis ins Detail verfolgen.
In der mittelaltrigen Gesellschaft also waren die Steuern das einzige Band zwischen der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft und dem herrschenden feudalen Staate, das Band, wodurch dieser gezwungen wurde, jener Konzessionen zu machen, der Entwicklung derselben nachzugeben und sich ihren Bedürfnissen anzupassen. In den modernen Staaten hat sich dies Steuerbewilligungs- und Verweigerungsrecht in eine Kontrolle der bürgerlichen Gesellschaft über den Verwaltungsausschuß ihrer allgemeinen Interessen, die Regierung, verwandelt.
Partielle Steuerverweigerung finden Sie daher vor als integrierenden Teil jedes konstitutionellen Mechanismus. Diese Art Steuerverweigerung hat statt, sooft das Budget verworfen wird. Das laufende Budget ist nur für einen bestimmten Zeitraum verwilligt; die Kammern müssen außerdem, sobald sie vertagt sind, nach sehr kurzen Zwischenräumen wieder einberufen werden. Eine Unabhängigkeitsmachung der Krone ist daher unmöglich. Die Steuern sind durch Verwerfung eines Budgets definitiv verweigert, sobald die neue Kammer dem Ministerium keine Majorität zubringt oder die Krone nicht ein Ministerium im Sinne der neuen Kammer ernennt. Die Verwerfung des Budgets ist also eine Steuerverweigerung in parlamentarischer Form. Diese Form war im vorliegenden Konflikte nicht anwendbar, weil die Konstitution noch nicht existierte, sondern erst zu schaffen war.
Aber die Steuerverweigerung, wie sie hier vorliegt, eine Steuerverweigerung, die nicht nur das neue Budget verwirft, sondern selbst die Bezahlung der laufenden Steuern verbietet, auch sie ist nichts Unerhörtes. Sie war eine sehr häufige Tatsache im Mittelalter. Selbst der alte deutsche Reichstag und die alten feudalen brandenburgischen Stände haben Steuerverweigerungsbeschlüsse gefaßt. Und in modernen konstitutionellen Ländern fehlt es nicht an Beispielen. 1832 führte die Steuerverweigerung in England den Sturz des Ministeriums Wellington herbei. Und bedenken Sie wohl, meine Herren! Nicht das Parlament hatte in England die Steuerverweigerung beschlossen, das Volk proklamierte und vollzog sie aus eigner Machtvollkommenheit. England aber ist das historische Land des Konstitutionalismus.
Ich bin weit entfernt, es zu leugnen: Die englische Revolution, die Karl I. auf das Schafott brachte, begann mit der Steuerverweigerung. Die nordamerikanische Revolution, welche mit der Unabhängigkeitserklärung Nordamerikas von England endete, begann mit der Steuerverweigerung. Die Steuerverweigerung kann auch in Preußen die Vorläuferin sehr schlimmer Dinge sein. Aber John Hampden brachte Karl I. nicht auf das Schafott, sondern nur sein Eigensinn, seine Abhängigkeit von den feudalen Ständen, sein Dünkel, unabweisliche Forderungen der neuentstehenden Gesellschaft mit Gewalt niederherrschen zu wollen. Die Steuerverweigerung ist nur ein Symptom des Zwiespalts zwischen Krone und Volk, nur ein Beweis, daß der Konflikt zwischen Regierung und Volk schon einen hohen, gefahrdrohenden Grad erreicht hat. Sie bringt den Zwiespalt, den Konflikt nicht hervor. Sie drückt nur das Vorhandensein dieser Tatsache aus. Im schlimmsten Falle folgt auf sie der Sturz der bestehenden Regierung, der vorhandenen Staatsform. Die Grundvesten der Gesellschaft werden nicht davon berührt. Im vorliegenden Falle nun gar war die Steuerverweigerung eine Notwehr eben der Gesellschaft gegen die Regierung, von der sie in ihren Grundvesten bedroht war.
Das öffentliche Ministerium wirft uns schließlich vor, wir wären in dem inkriminierten Aufrufe weiter gegangen als die Nationalversammlung selbst: 'Einmal habe die Nationalversammlung ihren Beschluß nicht publiziert.' Soll ich ernsthaft darauf antworten, meine Herren, daß der Steuerverweigerungsbeschluß nicht einmal von der Gesetzsammlung publiziert wurde?
Dann habe die Nationalversammlung nicht, wie wir, zur Gewalt aufgefordert, überhaupt nicht, wie wir, den revolutionären Boden betreten, sondern sich auf gesetzlichem Boden halten wollen.
Vorhin stellte das öffentliche Ministerium die Nationalversammlung als ungesetzlich dar, jetzt als gesetzlich, jedesmal, um uns als Verbrecher darzustellen. Wenn die Eintreibung der Steuern einmal für ungesetzlich erklärt ist, muß ich die gewaltsame Ausübung der Ungesetzlichkeit nicht gewaltsam zurückweisen? Selbst von diesem Standpunkte aus waren wir daher berechtigt, Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Übrigens, es ist ganz richtig, die Nationalversammlung wollte sich auf rein gesetzlichem Boden halten, auf dem Boden des passiven Widerstandes. Es standen ihr zwei Wege offen: der revolutionäre - sie schlug ihn nicht ein, die Herren wollten ihre Köpfe nicht riskieren - oder die Steuerverweigerung, die bei passivem Widerstand stehenblieb. Sie betrat diesen Weg. Das Volk aber mußte sich zur Ausübung der Steuerverweigerung auf revolutionären Boden stellen. Das Verhalten der Nationalversammlung war für das Volk keineswegs maßgebend. Die Nationalversammlung hat keine Rechte für sich, das Volk hat ihr nur die Behauptung seiner eigenen Rechte übertragen. Vollführt sie ihr Mandat nicht, so ist es erloschen. Das Volk selbst tritt dann in eigener Person auf die Bühne und handelt aus eigener Machtvollkommenheit. Wäre z.B. eine Nationalversammlung an eine verräterische Regierung verkauft, so müßte das Volk beide fortjagen, Regierung und Nationalversammlung. Wenn die Krone eine Kontrerevoluton macht, so antwortet das Voll: mit Recht durch eine Revolution. Es bedarf dazu der Genehmigung keiner Nationalversammlung. Daß die preußische Regierung aber ein hochverräterisches Attentat versucht, das hat die Nationalversammlung selbst ausgesprochen."
(MEW, 6, S.254-257).

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

I don't know what the post says, but the picture reminds me of that song.... "smelly cat"
:-P

nestor hat gesagt…

The picture was actually shot as a souvenir just minutes before the beard was completely shaved off. Regretfully, there are no pictures without the beard.