Im vergangenen Jahr habe ich an dieser Stelle erläutert, wieso Kant unter unseren Geburtstagskindern nicht ganz fehl am Platz ist. Dort hatte ich den klassischen Text Was ist Aufklärung? gebracht; dieses Jahr im Gegenzug Obskures aus den "vorkritischen Schriften", nämlich aus dem Frühwerk Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels, oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach newtonischen Grundsätzen abgehandelt, erschienen 1755 in Königsberg und Leipzig. Im dritten Teil bzw. Anhang dieses astronomisch-spekulativen Werkes behandelt Kant die Bewohner der verschiedenen Gestirne unseres Sonnensystems; er endet mit diesem schönen Beschluß:
"Es ist uns nicht einmal recht bekannt, was der Mensch anjetzo wirklich ist, ob uns gleich das Bewustseyn und die Sinne hievon belehren solten; wie vielweniger werden wir errathen können, was er dereinst werden soll. Dennoch schnappet die Wißbegierde der menschlichen Seele sehr begierig nach diesem von ihr so entfernten Gegenstande, und strebet, in solchem dunkeln Erkenntnisse, einiges Licht zu bekommen.
Solte die unsterbliche Seele wohl in der ganzen Unendlichkeit ihrer künftigen Dauer, die das Grab selber nicht unterbricht, sondern nur verändert, an diesen Punkt des Weltraumes, an unsere Erde jederzeit geheftet bleiben? Solte sie niemals von den übrigen Wundern der Schöpfung eines näheren Anschauens theilhaftig werden? Wer weiß, ist es ihr nicht zugedacht, daß sie dereinst jene entfernte Kugeln des Weltgebäudes, und die Trefflichkeit ihrer Anstalten, die schon von weitem ihre Neugierde so reitzen, von nahem soll kennen lernen? Vielleicht bilden sich darum noch einige Kugeln des Planetensystems aus, um nach vollendetem Ablaufe der Zeit, die unserem Aufenthalte allhier vorgeschrieben ist, uns in andern Himmeln neue Wohnplätze zu bereiten. Wer weis, laufen nicht jene Trabanten um den Jupiter, um uns dereinst zu leuchten?
Es ist erlaubt, es ist anständig, sich mit dergleichen Vorstellungen zu belustigen; allein niemand wird die Hoffnung des Künftigen auf so unsichern Bildern der Einbildungskraft gründen. Nachdem die Eitelkeit ihren Antheil an der menschlichen Natur wird abgefordert haben: so wird der unsterbliche Geist, mit einem schnellen Schwunge, sich über alles, was endlich ist, empor schwingen, und in einem neuen Verhältnisse gegen die ganze Natur, welche aus einer näheren Verbindung mit dem höchsten Wesen entspringet, sein Daseyn fortsetzen. Forthin wird diese erhöhete Natur, welche die Quelle der Glückseligkeit in sich selber hat, sich nicht mehr unter den äusseren Gegenständen zerstreuen, um eine Beruhigung bey ihnen zu suchen. Der gesammte Innbegriff der Geschöpfe, welcher eine nothwendige Uebereinstimmung zum Wohlgefallen des höchsten Urwesens hat, muß auch sie auch zu dem seinigen haben, und wird sie nicht anders, als mit immerwährender Zufriedenheit, rühren.
In der That, wenn man mit solchen Betrachtungen, und mit den vorhergehenden, sein Gemüth erfüllet hat; so giebt der Anblick eines bestirnten Himmels, bey einer heitern Nacht, eine Art des Vergnügens, welches nur edle Seelen empfinden. Bey der allgemeinen Stille der Natur und der Ruhe der Sinne, redet das verborgene Erkenntnißvermögen des unsterblichen Geistes eine unnennbare Sprache, und giebt unausgewickelte Begriffe, die sich wohl empfinden, aber nicht beschreiben lassen. Wenn es unter den denkenden Geschöpfen dieses Planeten niederträchtige Wesen giebt, die, ungeachtet aller Reitzungen, womit ein so grosser Gegenstand sie anlocken kan, dennoch im Stande sind, sich fest an die Dienstbarkeit der Eitelkeit zu heften: wie unglücklich ist diese Kugel, daß sie so elende Geschöpfe hat erziehen können? Wie glücklich aber ist sie anderer Seits, da ihr unter den aller annehmungswürdigsten Bedingungen ein Weg eröfnet ist, zu einer Glückseeligkeit und Hoheit zu gelangen, welche unendlich weit über die Vorzüge erhaben ist, die die allervortheilhafteste Einrichtung der Natur in allen Weltkörpern erreichen kan.
Text nach der Erstausgabe, S.198-200; eine modernisierte Fassung findet man in Band 1 der Suhrkamp-Werkausgabe, S.395-396.
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