Vor kurzem erst hatten wir den wissenschaftlichen Mitarbeiter, diesmal ist der Lehrstuhlinhaber (für Judaistik und Hermeneutik) an der Reihe, der gnostische Rabbiner und jüdisch-paulinische Apokalyptiker Jacob Taubes. Taubes kann man mit gewisser Berechtigung als ein Produkt der Wahlverwandtschaft zwischen jüdischem Messianismus und libertärem Denken bezeichnen, über die Michael Löwy 1988 in seinem Buch Redemption et utopie schreibt (ein Feld, das etwa auch Landauer, Bloch, Benjamin, Kafka, Scholem, Buber und andere mehr umreißt). Ein Anarchist war Taubes allerdings nie, mal ganz abgesehen von seinen "gegenstrebigen" Beziehungen mit Carl Schmitt und Armin Mohler, auch wenn er 1968 einen vom "Infantilismus des 19. Jahrhunderts" befreiten Anarchismus herbeiwünschte - heraus kam aber lediglich der Post-68er "Neoanarchismus", der den im 19. Jahrhundert entstandenen Anarchismus vermittels vulgärmarxistischer Floskeln erst infantilisierte. Außerordentlich ist an Taubes - gemessen an seinen intellektuellen Credentials - wohl die Tatsache, dass er zu Lebzeiten ein einziges Buch veröffentlichte, die 1947er Doktorarbeit Abendländische Eschatologie. Hieraus stammt auch folgender Auszug, der die imperial-heidnische Kirche des spätrömischen Reiches behandelt:
"Im dritten Jahrhundert gibt es zwei Kultkirchen: die eine besteht aus den christlichen Gemeinden und die andere setzt sich aus den vielen heidnischen Gemeinden zusammen, in denen unter tausend Namen ein und dasselbe göttliche Prinzip verehrt wird. Die heidnische Kultkirche ist es, welche die christliche Kirche angreift. Alle großen Christenverfolgungen, denen später die Heidenverfolgungen genau entsprechen, gehen von der heidnischen Kultkirche aus. Der römische Staat ist daran nur insofern beteiligt, als auch die heidnische Kultkirche zugleich Nation und Vaterland ist. Der Heiland der heidnischen Kultkirche ist der Kaiser. Der Kaiser ist der Messias aller Synkretisten. Der römische Staat wandelt sich in eine Kirche und der Herrscher in einen Khalifen, der nicht ein Gebiet regiert, sondern vor allem Gläubige beherrscht. Auch im römischen Staat wird im dritten Jahrhundert die Rechtgläubigkeit Voraussetzung wirklicher Staatsangehörigkeit.
Gegen Ende des dritten Jahrhunderts erhebt Diocletian den Mithras zum henotheistischen Reichsgott. Die Priester der synkretistischen Kultkirche unterscheiden sich, seelisch wenigstens, um nichts von den christlichen. Seit dem Kommentar des Poseidonios zum platonischen Timaios ist diese platonische Schrift die Bibel der Synkretisten. Numenios überträgt auf Plato einfach das Amt des christlichen Gottessohnes. Die Göttergestalten des platonischen Timaios verwandeln sich zu gnostisch phantastischen Wesen. Die okzidentale Spekulation ist eingetaucht in die dunklen Fluten orientalischer Mystik. Mit der kabbalistischen Ausdeutung des Timaios bereitet Numenios den Neuplatonismus vor, der mehr als eine Philosophenschule sein will. Proklos ist ein echter Kirchenvater, der in Träumen Erleuchtungen über eine schwierige Textstelle empfängt und der, außer den chaldäischen Orakeln und Platons Timaios, die für ihn kanonisch sind, alle Schriften vernichtet sehen will. Seine Hymnen sind Zeugnisse der Zerknirschung eines echten Eremiten. Die Angst vor der Sünde, das Ringen mit der Versuchung, die tiefe Zerknirschung über die eigenen Schlechtigkeit erinnern aufs lebhafteste an den Seelenzustand manches christlichen Eremiten. Hierokles vergleicht den neuen pythagoräischen Magier Apollonios von Tyana mit Christus, und sein Moralbrevier für Gläubige der neuen pythagoräischen Gemeinschaft läßt sich nur schwer von einem christlichen unterscheiden. Bischof Synesios wird von einem neuplatonischen zu einem christlichen Kirchenfürsten, ohne daß eigentlich eine Bekehrung stattfindet, er behält auch seine Theologie bei und ändert nur die Namen. Asklepiades schreibt ein umfassendes Werk über die Gleichheit sämtlicher Theologien. Es gibt heidnische so gut wie christliche Evangelien und Heiligenleben. Zwischen diesen Schriften, die mit einem Gebet anfangen und schließen, besteht eigentlich gar kein Unterschied. Ähnlich wie Paulus bezeichnet Porphyrios als die vier göttlichen Elemente: Glaube, Wahrheit, Liebe und Hoffnung. Was Origenes für die christliche Kirche bedeutet, ist Plotin für die heidnische Kirche. Koch hat es wahrscheinlich gemacht, daß Origenes und Plotin Schüler von Ammonios Sakkas sind. In Plotin laufen die Linien griechischer Philosophie und gnostischer Spekulation zusammen, die von da an geeint im Neoplatonismus weiterfließen.
Der größte Nachfolger Plotins, Jamblich, entwirft um 300 für die heidnische Kultkirche das System einer orthodoxen Theologie und einer priesterlichen Hierarchie mit strengem Ritual. Das persönliche, religiöse Erlebnis tritt zurück zu Gunsten einer mystischen Kirche mit Weihungen, peinlicher Kulterfüllung, mit einem der magischen Handlung verwandelten Ritus, mit einem Klerus. Ein orthodoxer Fanatismus durchweht dieses System, und es kündigt sich darin schon die neue Zeit an, die durch den Versuch Julians charakterisiert ist. Julian will die heidnische Kirche für alle Ewigkeit aufrichten. Es ist falsch, den Versuch Julians als ein vereinzeltes Unternehmen darzustellen. Julian hat nur das Programm Jamblichs durchgeführt. Jamblich wird von Julian unmittelbar in die Nähe Platons gerückt und so als kanonisch erklärt. Viele der Inschriften zu Ehren Julians lassen sich kaum anders übersetzen als: es ist nur ein Gott und Julian ist sein Prophet. Nur darum kann die römisch-katholische Kirche in den Organismus des römischen Reiches hineinwachsen, weil das heidnische Römische Reich im dritten Jahrhundert selbst eine Kirche ist."
nach der Ausgabe Berlin 2007, S.106-108. Die Literaturverweise habe ich weggelassen.
Taubes ist übrigens nicht der einzige "Gnostiker", der an einem 25. Februar geboren wurde. Auf den Tag genau 20 Jahre später kam in Liverpool ein Mystiker auf die Welt, dessen Texte Taubes wohl vertraut vorgekommen haben mögen:
1 Kommentar:
Das Zitat stammt eigentlich aus Spenglers "Untergang des Abendlandes", jedenfalls heißt es dort sehr ähnlich.
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