Oktober 25, 2010

204 Jahre Max Stirner

Diesmal zu Stirners Wiegenfest kein Auszug aus dem Einzigen, sondern ein Kuriosum; eine Korrespondenz in der Rheinischen Zeitung vom 3. Juli 1842, als die deutschen Lande gerade mitten in einer erregten  medialen Debatte über die "Judenfrage" steckten:
 
"Als ich in der Broschüre des Staatsraths Hoffmann: 'Zur Judenfrage', Seite 24 folgende Stelle las: 'Dem Juden in seiner jetzigen Stellung erschweren es die Vorschriften und Gebräuche seines Glaubensbekenntnisses, Handarbeiten gemeinschaftlich mit Christen zu verrichten. Die Christen aller Religionsparteien feiern gemeinschaftlich die Sonntage und die meisten Kirchenfeste. Die Juden können schon vermöge ihrer Minderzahl keinen Anspruch auf die Befugniß machen, an diesen Sonn- und Festtagen, welche zusammengenommen beinahe ein Sechstheil des Jahres ausmachen, die Feier der Christen durch öffentlichen Betrieb ihrer Geschäfte zu stören,' — da überkam mir eine Anwandlung von übertriebenem christlichen Billigkeitssinn. Was in aller Welt, dachte ich, hat denn die 'Minderzahl' hier zu schaffen? Wenn die Christen verlangen können, daß ihre Festtage durch keinen Geschäftsbetrieb gestört werden, warum denn die Juden nicht auch? Hat Gott kein Gefallen daran, daß eine christliche Andacht durch Lärm unterbrochen werde, so wird er auch den Christen schwerlich freundlich sein, die eine jüdische Andacht mit Hämmern und Aexten durchlärmen. Was ist denn da für ein Unterschied? Verlangt Gott selbst Ruhe für die Andächtigen, so muß am Sabbath so gut als am Sonntag von Allen Ruhe gehalten werden; verlangen aber bloß die Christenmenschen für ihren Sonntag allgemeine Ruhe, so ist das ja ein ganz exclusives Privilegium, und wie das recht und billig sein soll, das verstehe Einer. Der Verfasser von 'Zur Judenfrage' versteht es aber, und mit ihm verstehen es — deß bin ich sicher — Millionen guter Christen, die gar kein Arg darin haben, daß Recht und Billigkeit nach der 'Minderzahl' abgewogen werden sollen. Sie finden es ganz in der Ordnung, daß sie gerade auf die Sonnabende ihre geräuschvollen Markttage verlegen und durch Scheuern und Abfegen ihres wochenalten Schmutzes neben den Stuben, Häusern und Synagogen der betenden Juden einen Mordspektakel machen, der ihnen am folgenden Tage von diesen durch — Schließen der jüdischen Läden und Einstellung alles jüdischen Geschäftsbetriebes — vergolten wird. Wann der Jude betet, schachert und scheuert der Christ, und wann der Christ betet, soll der Jude — faullenzen.

Solche curiosen Grillen fuhren mir bei der Hoffmann'schen Stelle durch den Kopf. Seit ich aber mein christliches Bewußtsein und Hochgefühl wieder gesammelt habe, lache ich mich über meine kindische Guthmüthigkeit aus. Der Anfall menschlicher Schwachheit ist vorüber."
Quelle: John Henry Mackay (Hrsg.), Max Stirner's kleine Schriften und die Entgegnungen auf die Kritik seines Werkes "Der Einzige und sein Eigenthum" aus den Jahren 1842-1848, 2. Auflage, Treptow bei Berlin, 1914, S.73-74.

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