"Es ist nöthig, noch ein Wort über den Menschen zu sagen. Wie es scheint, ist Stirners Buch gegen den Menschen geschrieben. Dadurch, wie auch durch das Wort Egoist hat er sich die schlimmsten Urtheile zugezogen oder die hartnäckigsten Vorurtheile rege gemacht. — Ja, es ist wirklich gegen den Menschen geschrieben, und gleichwohl hätte Stirner auf dasselbe Ziel losgehen können, ohne die Leute so arg vor den Kopf zu stossen, wenn er die Kehrseite herausgewendet und gesagt hätte: er schreibe gegen den Unmenschen. Nur hätte er dann selbst die Schuld getragen, wenn man ihn in entgegengesetzter, nämlich in sentimentaler Weise missverstanden und in die Reihe derer gestellt hätte, welche für den 'wahren Menschen' ihre Stimme erheben. Stirner aber sagt: Mensch ist der Unmensch, was der eine ist, das ist der andere, was gegen den einen gesagt wird, wird gegen den andern gesagt.
Misst man ein Wesen an einem Begriffe, so wird es niemals diesem Begriffe vollkommen entsprechend gefunden: misst man Dich an dem Begriffe Mensch, so wird sich stets herausstellen, dass Du etwas Apartes bist, etwas, was mit dem Worte Mensch nicht ausgedrückt werden kann, also jedenfalls ein aparter Mensch. Muthete man Dir nun zu, durchaus Mensch und nichts als Mensch zu sein, Du aber könntest dein Apartes nicht abstreifen, so wärest Du durch eben diess Aparte ein Unmensch, d. h. ein Mensch, der nicht wahrhaft Mensch, oder ein Mensch, der eigentlich Unmensch ist. Der Begriff Mensch hätte seine Realität gerade im Unmenschen.
Dass an dem Begriffe Mensch gemessen, jeder wirkliche Mensch ein Unmensch ist, hat die Religion durch den Satz ausgedrückt, dass alle Menschen 'Sünder' seien (das Sündenbewusstsein); heute nennt man den Sünder einen Egoisten. Und wozu entschloss man sich in Folge dieser Einsicht? Dazu, den Sünder zu erlösen, den Egoismus zu überwinden, den wahren Menschen zu finden und zu realisiren. Man verwarf das Aparte, d. h. das Einzige, zu Gunsten des Begriffes, verwarf den Unmenschen, zu Gunsten des Menschen, und erkannte nicht, dass der Unmensch die richtige und allein mögliche Realität des Menschen ist; man wollte durchaus eine wahrhaft menschliche Realität des Menschen.
Man verlangte eben eine Widersinnigkeit. Der Mensch ist real und wirklich im Unmenschen; jeder Unmensch ist — der Mensch. Aber Unmensch bist Du nur als die Realität des Menschen, Unmensch nur im Vergleich mit dem Begriffe Mensch.
Du bist Unmensch, und darum bist Du vollkommen Mensch, realer, wirklicher Mensch, bist vollkommener Mensch. Aber du bist eben mehr als vollkommener Mensch, Du bist ein aparter, ein einziger Mensch. Mensch und Unmensch, diese Gegensätze der religiösen Welt, verlieren ihre göttliche und teuflische, also ihre heilige oder absolute Bedeutung, in Dir, dem Einzigen. Der Mensch, nach dessen Anerkennung unsere Heiligen so sehr schmachten, indem sie allezeit eifern, man solle in den Menschen den Menschen anerkennen, wird erst dann vollständig und wirklich anerkannt, wenn er als der Unmensch anerkannt wird. Wird er als solcher anerkannt, so hören alle religiösen oder 'menschlichen' Zumuthungen auf, und die Herrschaft der Guten, die Hierarchie, hat ein Ende, weil der Einzige, der ganz gemeine Mensch (nicht Feuerbachs tugendhafter 'Gemeinmensch'), zugleich der vollkommene Mensch ist.
Indem also Stirner gegen den Menschen schreibt, schreibt er zugleich und in Einem Athemzuge gegen den Unmenschen, als den Gegensatz zum Menschen; er schreibt aber nicht gegen den Menschen, welcher Unmensch, nicht gegen den Unmenschen, welcher Mensch ist — d. h. er schreibt für den ganz gemeinen Einzigen, der dadurch, dass er Unmensch ist, ohnehin und von selbst vollkommener Mensch ist.
Nur Fromme, nur heilige Socialisten u. s. w., nur Heilige aller Art verhindern, dass der Mensch im Menschen anerkannt und gewürdigt wird; nur sie hemmen den reinen menschlichen Verkehr, indem sie den gemeinen egoistischen Verkehr allezeit eingeschränkt haben und einzuschränken trachten. Sie haben einen heiligen Verkehr eingeführt und möchten daraus wo möglich einen allerheiligsten machen."
Aus: "Recensenten Stirners", in Max Stirner’s Kleinere Schriften und Entgegnungen auf die Kritik seines Werkes: „Der Einzige und sein Eigenthum“ aus den Jahren 1842–1848, 2. erweiterte Auflage, 1914, S.366-368.
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