"Warnke: Um auf die Kulturpolitik zurückzukommen, würden denn solche enormen Investitionen wie Ausstellungsprojekte, all das, was jetzt gemacht wird, würde das denn notwendig sein, wenn es gar nichts zu befürchten gäbe, wenn gar kein Widerstandspotential in der Bevölkerung mehr vorauszusetzen wäre? Selbst wenn man die kritische Kunst in die Staatsscheune aufnimmt, müßte man doch davon ausgehen, daß es da noch etwas gibt, das man absichern muß, das man in ein sicheres Gehege führen muß.
Weyergraf: Das würde ich auch sagen. Dem Staat ist ein kritischer Bürger lieber - das ist ja auch etwas Produktives - als einer, der sich verweigert. Denn die Verweigerung ist eine Gefahr für die Verwertungsinteressen dieser Gesellschaft.
Kittsteiner: Ich würde das etwas anders sehen. Das Problem scheint mir nicht so sehr die 'Verweigerung', sondern gerade die 'kritischen' Reste von anti-kapitalistischen Einstellungen in der Masse der Bevölkerung. Politisch kann das fatale Folgen haben, daß nämlich dieser vage Antikapitalismus in Faschismus umschlägt, daß also berechtigte Forderungen an das Leben sich in politisch falscher Richtung artikulieren. In der deutschen Geschichte hat man das schon einmal gesehen. Und in diesem Zusammenhang könnte die kulturpolitische Offensive des Staates als ein Versuch zur 'antifaschistischen Prophylaxe' betrachtet werden. (...)
Warnke: (...) Ist denn Faschismus überhaupt noch eine reale Perspektive? Ist nicht vielmehr eine universelle Bürokratisierung die reale Gefahr - die dann allerdings diesen alten 'Primitiv-Faschismus' doch im Griff hätte.
Weyergraf: Sicher wäre ein neuer Faschismus eleganter als der alte. Ein Staat, in dem sich alle wohlfühlen.
Kittsteiner: Ich meine auch nicht die alte Form des Faschismus. Aber denken Sie nur an die Verkündigung der neuen Askese: dahinter steht das politische Problem eines wieder einsetzenden Kampfes um Rohstoffe und Energieträger auf dem Weltmarkt...
Warnke: ... also diesmal: 'Volk ohne Öl'...
Kittsteiner: ...ja, eine neue Art 'Imperialismus mit gutem Gewissen'. Denn Verzicht zu fordern - von Intellektuellen ist das nicht besonders schwer, die haben Rückzugspositionen für ein volkswirtschaftlich weniger kostspieliges Leben ohnehin schon im Kopf. Aber die Masse der Bevölkerung? Da sehe ich ein ernsthaftes Problem. Wie soll man auf den mühsam erkämpften Wohlstand verzichten lernen? Der ist ja schließlich nicht von selbst gekommen, sondern der Arbeitgeberseite abgerungen worden. In diesem Zusammenhang würde ich die gegenwärtige Kulturoffensive als den Versuch betrachten, ein finanziell tragbares Angebot für eine neue demokratische Identitätsfindung jenseits der Wohlstandsgesellschaft zu entwickeln.
Warnke: Muß es denn die Kultur sein? Es gibt auch andere Sozialtechnologien, Askese durchzusetzen. (...)"
aus einem Gespräch zwischen Martin Warnke, Bernd Weyergraf und Heinz Dieter Kittsteiner über "Kultur für alle? Über das Verhältnis von Kunst und Staat", Berliner Hefte, 14, 1980, S.92-93, 94-95.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen