September 08, 2010

"Und zum Schluss noch Karl Marx"

... so betitelt heute das Tageblatt einen Beitrag zum 80. Geburtstag des Schauspielers Mario Adorf, der offenbar seit Jahren davon träumt Karl Marx zu spielen. Doch niemand will sich des Stoffes annehmen, "das ärgert ihn [Adorf]. Er will Marx als Mensch zeigen, weg vom dialektischen Marxisten [sic], den die Kommunisten für sich reklamierten" (was ihn übrigens nicht davon abhält, selbst das baldige Ende des Kapitalismus zu prophezeien; der Kapitalismus soll allerdings nicht an seinen "inneren Widersprüchen" ersticken, sondern - neumodisch-ökologisch-korrekt - an den Grenzen des Wachstums). Genauer soll es in dem von Adorf avisierten Streifen um Marxens Kururlaub in Algier (20. Februar bis 2. Mai 1882) kurz vor dessen Tod gehen. Man erfährt dass "Friedrich Engels (...) ihn gedrängt [habe], dorthin zu gehen, um 'Das Kapital' zu Ende zu bringen". Nun geht nichts dergleichen aus dem Briefwechsel von Marx und Engels hervor, vielmehr scheint Marx sich auf ärztliche Empfehlung nach Algerien begeben haben. Wieso ausgerechnet eine Reise nach Algerien  Marx dazu hätte verleiten sollen, den lange überfälligen zweiten Band des Kapitals endlich fertigzustellen, ist auch etwas rätselhaft. Nach Adorf liegt es jedoch am Aufenthalt in Algier, dass Marx das Kapital eben nicht zu Ende brachte: "Doch Marx begegnete dem Islam, war fasziniert, brachte es nur zu Notizen."
Sollen wir daraus schließen, der alte Marx habe mit dem bon-mot "Alles was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin" in Wahrheit eine späte Konversion zum Islam gemeint? Immerhin hatte Marx in früheren Jahren durchaus "Islamophobes" geschrieben, etwa in der Korrespondenz in der New York Daily Tribune, aus der ich hier erst kürzlich eine längere Passage vorgestellt habe: "Der Koran und die auf ihm fußende muselmanische Gesetzgebung reduzieren Geographie und Ethnographie der verschiedenen Völker auf die einfache und bequeme Zweiteilung in Gläubige und Ungläubige. Der Ungläubige ist 'harby', d.h. der Feind. Der Islam ächtet die Nation der Ungläubigen und schafft einen Zustand permanenter Feindschaft zwischen Muselmanen und Ungläubigen. In diesem Sinne waren die Seeräuberschiffe der Berberstaaten die heilige Flotte des Islam." (MEW, 10, S.170). Zudem hat sich Marx ausgerechnet in Algerien seinen "Prophetenbart (...) auf [dem] Altar eines algierschen Barbiers" (Marx an Engels, 28.4.1882; vgl. MEW, 35, S.60) geopfert - das oben eingefügte Foto wurde unmittelbar vor der Rasur geschossen. 

Von den von Adorf erwähnten "Notizen" weiß ich nichts; vielleicht wird uns darüber einmal ein noch nicht erschienener Band der Marx-Engels-Gesamtausgabe aufklären. Bis dahin sei auf Marx' Briefwechsel mit Engels und Verwandtschaft verwiesen, in dem sich anlässlich des Algier-Aufenthalts in der Tat zwei Passagen zum Islam finden. Zunächst schreibt "Mohr" über die algerischen Mauren an seine Tochter Laura, verheiratete Lafargue, am 14. April 1882:
"On a rough table, in inclined positions, their legs crossed, half a dozen Maure visitors [nach MEW unleserliche Stelle] were delighted in their small 'cafétières' (everyone gets one of his own) and together playing at cards (a conquest of civilisation). Most striking this spectacle: Some these Maures were dressed pretentiously, even richly, others in, for once I dare call it blouses, sometime of white woollen appearance, now in rags and tatters - but in the eyes of a true Musulman such accidents, good or bad luck, do not distinguish Mahomets children. Absolute equality in their social intercourse, not affected; on the contrary, only when demoralized, they become aware of it; as to the hatred against Christians and the hope of an ultimate victory over these infidels, their politicians justly consider this same feeling and practice of absolute equality (not of wealth or position but of personality) a guarantee of keeping up the one, of not giving up the latter. (Dennoch gehen sie zum Teufel without a revolutionary movement.)" (MEW, 35, S.308-309.)

Vier Tage später weiß Marx seinem Freund Engels eine Anekdote zu berichten:
"Du begreifst, daß ich mich aufs Ohr legen und Schlafkompensation ergattern müsse. Unterdes: Schlafe, was willst Du mehr! Nur muß ich vorher schlechten Streichs erwähnen, den die französische Autorität einem armen Räuber, armen vielfachen professionellen Mörder von Araber spielte. Erst zu allerletzt, wo, wie die infamen Cockneys sagten, on the moment 'to launch' den armen Sünder 'into eternity' - entdeckt er, daß er nicht erschossen, sondern guillotiniert werde! Dies gegen die Absprache! Gegen Versprechen! Er ward trotz Abrede guillotiniert. Aber nicht das alles [bisweilen Marx in Yoda-Manier reden...]. Seine Verwandten, wie die Franzosen es bisher erlaubt, erwarten, den Körper und den Kopf ihnen liefern, so daß sie letzten an erstern zusammennähen und 'das Ganze' dann bestatten. Quod non! Heulen und Fluchen und Toben; die französische Autorität schlug's ab, rund ab, und zum erstenmal! Kommt der Rumpf nun ins Paradies, so fragt Mohammed, wo hast du den Kopf verloren? Oder, wie brachte der Kopf um den Rumpf? Du bist nicht würdig ins Paradies! Mach dich scheren zum Christenhunden! Und so jammern die Verwandten. Dein Old Mohr" (MEW, 35, S.57-58.)
Woraus Adorf dann eine Faszination für den Islam ableitet. Ja, ganz offensichtlich, so wird's gewesen sein... (*sigh*)

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