Dezember 08, 2009

Die Arktis schmilzt, anno 1942

Nebenstehenden Band habe ich vor einigen Monaten antiquarisch erworben. Kopenhagen bietet ja jetzt einen guten Anlass hier darüber zu berichten, zumal das dünne Heft vom Deutschen Wissenschaftlichen Institut zu Kopenhagen (DWI) veröffentlicht wurde.

Das DWI Kopenhagen war am 4. Mai 1941 durch den deutschen Besatzer gegründet worden, und sollte sich dem "deutsch-dänischen Kulturaustausch" sowie der Popularisierung dänischer Wissenschaft und Kultur im Großdeutschen Reich widmen. Erster Präsident des DWI Kopenhagen war der Kirchenhistoriker, Theologe und Spezialist für schleswig-holsteinische und nordische Geschichte Prof. Dr. Otto Scheel (Mehr zum DWI findet man bei Frank-Rutger Hausmann, "Auch im Krieg schweigen die Musen nicht". Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, Göttingen, 2002 [2. Auflage], S.183 ff.). Am DWI fand übrigens auch das historische Treffen zwischen Niels Bohr und Werner Heisenberg statt, das von Michael Frayn im Theaterstück Kopenhagen verewigt wurde.

Das abgebildete Heft bildet den ersten Band der von Prof. Dr. Hans Frebold veröffentlichten Reihe "Arktis", in der des Weiteren auch Themen wie Die Wiederkäuer der Arktis (Band 7), Über die Biologie des Lemmings (Band 8) oder auch Die Ortsnamen in Svalbard (Band 9) behandelt wurden. Wie man sieht waren die Arbeiten des DWI sehr interdisziplinär orientiert.

Der Autor Ludwig Weickmann, einer der bekanntesten deutschen Geophysiker seiner Zeit und Präsident der Sächsischen Akademie der Wissenschaften, war 1940 als Chefmeteorologe der Luftflotte 5 nach Oslo abkommandiert worden. Vermutlich hat u.a. seine Tätigkeit dort seine Beschäftigung mit den erstaunlichen Temperaturentwicklungen dieser Zeit in der Arktis angeregt. Weickmann berichtet gleich auf Seite 1 über einen Temperaturanstieg in Spitzbergen, der die "nie dagewesene" Erwärmung seit dem Ende der 1970er Jahre weit hinter sich lässt:
"Die Tabelle zeigt, dass in Spitzbergen seit dem Winter 1918/19 eine positive Anomalie der Wintermitteltemperatur zu beobachten war mit alleiniger Ausnahme des in Europa als besonders streng in Erinnerung stehenden Winters 1928/1929. Von diesem Winter 1928/29 an machte sich dann die Erwärmung der Arktis in einer neuen starken Welle geltend, die ihren Wellenberg im Winter 1938/39 mit +9.0° C Überschuss erreichte. Der Winter 1938/39 war um 17° Grad wärmer als der Winter 1916/17. Das scheint der Höhepunkt des Phänomens zu sein. Seit diesem kritischen Winter 1938/39 beginnt die Wintertemperatur wieder rasch in der Richtung auf normale Werte zu senken." (ich unterstreiche)

Weiter beschäftigt sich Weickmann mit dem Ausdruck der "erheblichen Temperaturanomalie" auf die Eisverhältnisse, aufbauend auf den Forschungen von Scherhag, sowie von Hoel, der akribisch die empirische  Beobachtung der Eisentwicklung vor Nowaja Semla, Spitzbergen und Ostgrönland zwischen 1893-1940 dokumentiert hat. Notiert wird u.a. dass Ende Juli 1931 das Luftschiff Graf Zeppelin im "völlig eisfreien Gebiet der Hookerinsel" (UdSSR) landet (zum Vergleich Bilder einer Reise auf die Hookerinsel im Juli 2008, mehr zum Polarflug der Graf Zeppelin hier).

Es hat für Weickmann zunächst "den Anschein", die "Sonnenfleckenfrequenz [sei] hier beteiligt" (S.3). Später "scheint" es ihm, "dass auch  ein äußerst interessanter Zusammenhang des gewaltig gesteigerten Transports warmer Luftmassen in die polaren Regionen mit den Polhöhenschwankungen bestehen" (S.15). Die Polhöhenschwankungen umfassen einerseits die jährliche Polbewegung die durch die "jahreszeitlichen Änderungen des Luftdrucks" hervorgerufen wird, andererseits die "freie Schwingung des Kreisels Erde" (S.16). Weickmann geht hier auf die heute allgemein anerkannte 14-Monatsschwingung unseres Planeten ein, die nach ihrem Entdecker "Chandler Wobble" genannt wird. Im Jahr 2000 wurde vom NASA-Geophysiker Richard Gross nachgewiesen, dass die Fluktuation im Chandler Wobble auf Druckunterschiede auf dem Meeresboden zurückzuführen sind, die durch Fluktuationen der Masseverteilung. in den Ozenanen entsteht. Aus diesen Erkenntnissen und der weiteren Erforschung wollen Forscher eine "Monitoring"-Funktion für die globalen Klimaschwankungen ableiten. Hier wären es allerdings die Klimaschwankungen, die Variationen der Erdschwingung auslösen, nicht umgedreht wie bei Weickmann. Hingegen geht der russische Forscher Nikolay S. Sidorenkov von einer Wechselwirkung aus, insbesondere auf die El Niño Südliche Oszillation (am rezentesten im Buch The Interaction between Earth's Rotation and Geophysical Processes, Weinheim, 2009). Insofern hat Weickmanns kurze Darstellung vielleicht auch der gegenwärtigen Forschung noch was zu sagen.

Übrigens geht Weickmann, obwohl er auch "von weitgehenden Wirkungen auf das gesamte Wirtschaftsleben und die biologischen Bedingungen des betroffenen Gebiets" spricht (S.15) vor allem mit Neugierde und Forschergeist, ja mit Vorfreude, an die ab 1939 einsetzenden Periode der neuerlichen Abkühlung heran:
"Nun geht es allem Anschein nach diese Klimaschwankung zu Ende und damit werden erneut sehr interessante Fragen aufgerollt für die Zunahme strenger Winter, für die Abnahme von Südwestwetterlagen, für die wieder weiter nach Süden vordringende Glacialfront u.ä. Es ist bedauerlich, dass der bis in die arktischen Regionen vorgedrungene Krieg zur Zeit das Studium dieser Dinge unmöglich macht." (S.17)

Keine Kommentare: