März 17, 2009

Kann Marx zum Verständnis der aktuellen Wirtschaftskrise beitragen? (Number 5 in a series)

Auch Le Monde Diplomatique, das Zentralorgan der, zumindest ihrem Selbstverständnis nach, linken Nostalgiker des Nationalstaats, geht in ihrer aktuellen Nummer (ich zitiere nach der deutschen Ausgabe, März 2009) auf die Krise von 1873 im Vergleich zur heutigen Krise ein, und bringt als Illustration dazu Auszüge aus Marx' Rede über den Freihandel, gehalten am... 9. Januar 1848 vor der Demokratischen Gesellschaft in Brüssel.

Marx behauptet in dieser Rede im Wesentlichen, dass er den Freihandel dem Schutzzollsystem vorziehe, da letzteres konservativ sei, während der Freihandel letztlich der Sache der Revolution diene:
"[Das Freihandelssystem] zersetzt die bisherigen Nationalitäten und treibt den Gegensatz zwischen Proletariat und Bourgeoisie an die Spitze. Mit einem Wort, das System der Handelsfreiheit beschleunigt die soziale Revolution. Und nur in diesem revolutionären Sinne, meine Herren stimme ich für den Freihandel."
Nicht zufällig erinnert diese Argumentation an das Loblied auf die revolutionäre Funktion der Bourgeoisie in der Weltgeschichte aus dem Manifest der Kommunistischen Partei, das etwa zur gleichen Zeit entstand (und wiederum auf eine ähnlichen Argumentation aus Victor Considérants Manifeste de la démocratie au XIXe siècle aufbaut, dem das Kommunistische Manifest überhaupt viel verdankt).

Schon diese strategische Zustimmung für den Freihandel geht dem Monde Diplo jedoch zu weit; man müsse diese im "historischen Kontext" verstehen: "Er wollte (...) den Freihandel als Rammbock gegen eine bäuerliche, konservative Gesellschaftsordnung einsetzen." Der Monde Diplo hingegen bevorzugt Keynes' "National Self-Sufficiency", so der Titel eines Aufsatzes von 1933, auf den sich Jacques Sapir dort positiv bezieht. In einer Zeit wo vom Europäischen Gewerkschaftsbund über Fidel Castro bis hin zur trotzkistischen Orthodoxie alle Welt vor dem um sich greifenden ökonomischen Nationalismus und Protektionismus warnt, bricht Le Monde Diplomatique, als Vorkämpfer gegen die "pensée unique" der Globalisten, eine Lanze für die nationale Abschottung, für nationale Selbstgenügsamkeit. Zurück in die Dreissiger also?

Man höre und staune: "In der Geschichte fiel der Protektionismus stets mit der Industrialisierung und wirtschaftlicher Entwicklung zusammen oder hat sie sogar ausgelöst", schreibt Paul Baroich. Hingegen habe Freihandel, ausser im Falle des "manchesterliberalen Grossbritanniens", das jedoch auf den durch 150 Jahre Protektionismus errungenen Vorsprung aufbauen gekonnt habe, immer negative Inzidenzen auf das wirtschaftliche Wachstum gehabt!

Nun mag es ja durchaus so sein, dass Protektionismus in manchen historischen Epochen durchaus für die Staaten, die sich ihn leisten konnten, durchaus Vorteile gebracht hat, jedoch allein im Sinne der Durchsetzung nationaler Machtinteressen - die traditionelle imperialistische Politik war in der Tat: Abschottung des Binnenmarkts, Kolonialismus und militärische Expansionspolitik nach aussen. Wie bereits der junge Marx 1842 wusste:
"Handel und Gewerbe sollen beschützt werden, aber eben das ist der streitige Punkt, ob Schutzzölle Handel und Gewerbe wahrhaft beschützen? Wir betrachten vielmehr ein solches System als Organisation des Kriegszustandes im Frieden (...)." [MEW, Ergänzungsband 1, S.398].

Es ist in dieser Hinsicht kein Wunder, dass es in erster Linie die kleineren bzw. schwächeren Staaten, die auf Exporte angewiesen sind, sich gegen protektionistische Tendenzen der Mächtigeren wehren: so derzeit in der EU die Mittel- und Osteuropäer gegen die Franzosen, oder auch die afrikanischen Staaten gegen die Agrarsubventionen in Nordamerika und Europa. Für den Monde Diplomatique ist es allerdings genau umgekehrt herum: hier drückt Protektionismus angeblich den Schutz der "Völker" gegenüber der "ungebändigten Globalisierung" aus. Das ist aber letztlich auch eine Zivilisationsfrage - was für eine Welt wollen wir? Weltmarkt oder "geschlossner Handelsstaat"? Melting Pot oder "Unantastbarkeit der Kulturen"? Kosmopolitismus oder Abschottung?

(Wird fortgesetzt)

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

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