Zum Geburtstag des (halben) Namensgebers der ostberliner Universität, des älteren der beiden Humboldt-Brüder heute ein Auszug aus einem Klassiker des Liberalismus, der bisweilen (größtenteils wohl doch zu Unrecht) auch als protoanarchistisch charakterisiert wird und überraschenderweise einen bleibenden Einfluss auf Noam Chomsky ausübte...
die Ideen zu einem Versuch die Gränzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen aus dem Revolutionsjahr 1792. Hier ein Auszug aus Punkt 3 aus dem III. Abschnitt:
"Alles, womit sich der Mensch beschäftigt, wenn es gleich nur bestimmt
ist, physische Bedürfnisse mittelbar oder unmittelbar zu befriedigen
oder überhaupt äußere Zwecke zu erreichen, ist auf das genaueste mit
innren Empfindungen verknüpft. Manchmal ist auch neben dem äußeren
Endzweck noch ein innerer, und manchmal ist sogar dieser der eigentlich
beabsichtete, jener nur notwendig oder zufällig damit verbunden. Je mehr
Einheit der Mensch besitzt, desto freier entspringt das äußere
Geschäft, das er wählt, aus seinem innren Sein, und desto häufiger und
fester knüpft sich dieses an jenes da an, wo dasselbe nicht frei gewählt
wurde. Daher ist der interessante Mensch in allen Lagen und allen
Geschäften interessant; daher blüht er zu einer entzückenden Schönheit
auf in einer Lebensweise, die mit seinem Charakter übereinstimmt.
So ließen sich vielleicht aus allen Bauern und Handwerkern Künstler
bilden, d. h. Menschen, die ihr Gewerbe um ihres Gewerbes willen
liebten, durch eigengelenkte Kraft und eigne Erfindsamkeit verbesserten
und dadurch ihre intellektuellen Kräfte kultivierten, ihren Charakter
vereitelten, ihre Genüsse erhöhten. So würde die Menschheit durch eben
die Dinge geadelt, die jetzt, wie schön sie auch an sich sind, so oft
dazu dienen, sie zu entehren. Je mehr der Mensch in Ideen und
Empfindungen zu leben gewohnt ist, je stärker und feiner seine
intellektuelle und moralische Kraft ist, desto mehr sucht er allein
solche äußre Lagen zu wählen, welche zugleich dem innren Menschen mehr
Stoff geben, oder denjenigen, in welche ihn das Schicksal wirft,
wenigstens solche Seiten abzugewinnen. Der Gewinn, welchen der Mensch an
Größe und Schönheit einerntet, wenn er unaufhörlich dahin strebt, daß
sein inneres Dasein immer den ersten Platz behaupte, daß es immer der
erste Quell und das letzte Ziel alles Wirkens und alles Körperliche und
Äußere nur Hülle und Werkzeug desselben sei, ist unabsehlich.
Wie sehr zeichnet sich nicht, um ein Beispiel zu wählen, in der
Geschichte der Charakter aus, welchen der ungestörte Landbau in einem
Volke bildet. Die Arbeit, welche es dem Boden widmet, und die Ernte,
womit derselbe es wieder belohnt, fesseln es süß an seinen Acker und
seinen Herd; Teilnahme der segenvollen Mühe und gemeinschaftlicher Genuß
des Gewonnenen schlingen ein liebevolles Band um jede Familie, von dem
selbst der mitarbeitende Stier nicht ganz ausgeschlossen wird. Die
Frucht, die gesäet und geerntet werden muß, aber alljährlich wiederkehrt
und nur selten die Hoffnung täuscht, macht geduldig, vertrauend und
sparsam; das unmittelbare Empfangen aus der Hand der Natur, das immer
sich aufdrängende Gefühl, daß, wenn gleich die Hand des Menschen den
Samen ausstreuen muß, doch nicht sie es ist, von welcher Wachstum und
Gedeihen kommt; die ewige Abhängigkeit von günstiger und ungünstiger
Witterung flößt den Gemütern bald schauderhafte, bald frohe Ahndungen
höherer Wesen, wechselweis Furcht und Hoffnung ein und führt zu Gebet
und Dank; das lebendige Bild der einfachsten Erhabenheit, der
ungestörtesten Ordnung und der mildesten Güte bildet die Seelen einfach,
groß, sanft und der Sitte und dem Gesetz froh unterworfen. Immer
gewohnt hervorzubringen, nie zu zerstören, ist der Ackerbauer friedlich
und von Beleidigung und Rache fern, aber er füllt von dem Gefühl der
Ungerechtigkeit eines ungereizten Angriffs und gegen jeden Störer seines
Friedens mit unerschrockenem Mut beseelt.
Allein, freilich ist Freiheit die notwendige Bedingung, ohne welche
selbst das seelenvollste Geschäft keine heilsamen Wirkungen dieser Art
hervorzubringen vermag. Was nicht von dem Menschen selbst gewählt, worin
er auch nur eingeschränkt und geleitet wird, das geht nicht in sein
Wesen über, das bleibt ihm ewig fremd, das verrichtet er nicht
eigentlich mit menschlicher Kraft, sondern mit mechanischer Fertigkeit.
Die Alten, vorzüglich die Griechen, hielten jede Beschäftigung, welche
zunächst die körperliche Kraft angeht oder Erwerbung äußerer Güter,
nicht innere Bildung, zur Absicht hat, für schädlich und entehrend. Ihre
menschenfreundlichsten Philosophen billigten daher die Sklaverei,
gleichsam um durch ein ungerechtes und barbarisches Mittel einem Teile
der Menschheit durch Aufopferung eines andren die höchste Kraft und
Schönheit zu sichern. Allein den Irrtum, welcher diesem ganzen
Räsonnement zum Grunde liegt, zeigen Vernunft und Erfahrung leicht. Jede
Beschäftigung vermag den Menschen zu adeln, ihm eine bestimmte, seiner
würdige Gestalt zu geben. Nur auf die Art, wie sie betrieben wird, kommt
es an; und hier läßt sich wohl als allgemeine Regel annehmen, daß sie
heilsame Wirkungen äußert, solange sie selbst und die darauf verwandte
Energie vorzüglich die Seele füllt, minder wohltätiger oft nachteilige
hingegen, wenn man mehr auf das Resultat sieht, zu dem sie führt, und
sie selbst nur als Mittel betrachtet. Denn alles, was in sich selbst
reizend ist, erweckt Achtung und Liebe, was nur als Mittel Nutzen
verspricht, bloß Interesse; und nun wird der Mensch durch Achtung und
Liebe ebensosehr geadelt, als er durch Interesse in Gefahr ist, entehrt
zu werden."
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