Heute wollen wir uns weder Ludwig Feuerbach noch Karl Popper widmen (beide ebenfalls an einem 28. Juli geboren), sondern dem Neukantianer und Davoser Heidegger-Antipoden Ernst Cassirer widmen, von dem folgende Überlegungen über den Begriff der Freiheit stammen:
"Freiheit ist einer der dunkelsten und vieldeutigsten Begriffe nicht nur der philosophischen, sondern auch der politischen Sprache. Sobald wir über den Begriff der Willensfreiheit zu spekulieren beginnen, finden wir uns in einem unentrinnbaren Labyrinth metaphysischer Fragen und Antinomien verstrickt.Was die politische Freiheit betrifft, so wissen wir alle, daß sie eines der am meisten gebrauchten und mißbrauchten Schlagworte ist. Alle politischen Parteien haben uns versichert, daß sie immer die wahren Repräsentanten und Hüter der Freiheit seien. Aber sie haben den Begriff immer in ihrem eigenen Sinn definiert und ihn in ihrem besonderen Interesse gebraucht. Ethische Freiheit ist im Grunde etwas viel Einfacheres. Sie ist frei von jenen Vieldeutigkeiten, die sowohl in der Metaphysik, als auch in der Politik unvermeidlich scheinen. Die Menschen handeln als freie Wesen, nicht weil sie ein liberum arbitrium indifferentiae besitzen. Es ist nicht die Abwesenheit eines Motivs, sondern der Charakter des Motivs, was eine freie Handlung charakterisiert. Im ethischen Sinne ist ein Mensch ein frei Handelnder, wenn diese Motive von seinem eigenen Urteil und seiner eigenen Überzeugung, was moralische Pflicht ist, abhängen. Nach Kant ist Freiheit gleichbedeutend mit Autonomie. Sie bedeutet nicht 'Indeterminismus', sie bedeutet eher eine besondere Art der Determination. Sie bedeutet, daß das Gesetz, das wir bei unseren Handlungen befolgen, nicht von außen auferlegt ist, sondern daß das moralische Subjekt sich dieses Gesetz selbst gibt. In der Darlegung seiner eigenen Theorie warnt uns Kant immer vor einem grundsätzlichen Mißverständnis. Ethische Freiheit, so erklärt er, ist keine Tatsache, sondern eine Forderung. Sie ist nicht gegeben, sondern aufgegeben; sie ist kein Geschenk, mit dem die menschliche Natur begabt ist; sie ist eher eine Aufgabe, und zwar die schwierigste Aufgabe, die der Mensch sich stellen kann. Sie ist kein datum, sondern ein Befehl; ein ethischer Imperativ. Diesen Befehl zu erfüllen wird besonders schwer in Zeiten einer strengen und gefährlichen sozialen Krisis, wenn der Zusammenbruch des ganzen öffentlichen Lebens bevorzustehen scheint. Zu solchen Zeiten beginnt das Individuum, ein tiefes Mißtrauen gegen seine eigenen Kräfte zu fühlen. Die Freiheit ist kein natürliches Erbe des Menschen. Um sie zu besitzen, müssen wir sie schaffen. Wenn der Mensch bloß seinen natürlichen Instinkten folgen würde, würde er nicht für die Freiheit kämpfen; er würde eher die Abhängigkeit wählen. Offenkundig ist es viel bequemer, von anderen abzuhängen, als für sich selbst zu denken, zu urteilen und zu entscheiden. Dies erklärt, daß die Freiheit so oft sowohl im privaten als auch im politischen Leben mehr als Last denn als Vorrecht betrachtet wird. Wenn die Bedingungen außerordentlich schwer sind, versucht der Mensch, diese Last abzuschütteln. Hier hakt der totalitäre Staat und der politische Mythus ein. Die neuen politischen Parteien versprechen wenigstens ein Entkommen von dem Dilemma. Sie unterdrücken und zerstören den Sinn für Freiheit selbst; aber gleichzeitig befreien sie den Menschen von jeder persönlichen Verantwortung."
(The Myth of the State; deutsch: Vom Mythus des Staates, geschrieben 1944-45, hier zitiert nach der Ausgabe Hamburg, 2002, S.375-376.)
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