Wieder mal ein Fundstück aus den Zeitungszeugen (in der Nummer 73 von vorletzter Woche): ein Auszug aus einer Mitteilung der "Eidgenössischen Zentralstelle für Kriegswirtschaft" aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 11. Juni 1942, die zeigt welche Auswirkungen der Weltkrieg auf eine nicht aktiv beteiligte Nation wie die Schweiz hatte:
"Die Lebensmittelrationen für die geistig Arbeitenden.
(...)
Der keine beträchtliche Körperarbeit Leistende braucht pro Tag 2200 bis 2400 Kalorien. Körperliche Schwer- und Schwerstarbeit erhöht diesen Nahrungsbedarf um 50, 100 und noch mehr Prozent. Es ist aber eine durch exakte Messungen bewiesene Tatsache, daß durch Geistesarbeit der Stoffwechsel nur um etwa zehn Prozent ansteigt; und selbst dieser Mehrverbrauch ist nicht einmal durch die Geistesarbeit selber bedingt, sondern durch die diese Geistesarbeit begleitende erhöhte Muskelspannung. Die geistige Arbeit, und zwar auch die genialste, wird von unserm Organismus praktisch geliefert. So ist es wissenschaftlich durchaus begründet, daß Zusätze von Nahrungsmitteln für die Geistesarbeiter nicht notwendig sind, solange die Normalration, wie dies gegenwärtig der Fall ist, noch genügt. Spezialmaßnahmen würden erst dann notwendig, wenn die Normalration ungenügend würde, weil die geistige Arbeit bei Unterernährung schneller und intensiver leidet als die körperliche.
Zweifellos empfinden viele Geistesarbeiter ein Bedürfnis nach gewissen stimulierenden Genußmitteln, wie Kaffee oder Tee, aber hier muß unterschieden werden zwischen dem physiologischen Bedürfnis des Organismus und dem psychologischem Bedürfnis. Es muß ausdrücklich gesagt werden, daß ein physiologisches Bedürfnis nach Alkaloiden wie Koffein nicht besteht. Die Denker des klassischen Altertums haben höchste geistige Leistungen vollbracht, ohne Kaffee oder Tee zu kennen, und viele Intellektuelle von heute meiden den Kaffee gerade dann, wenn sie intensivste und beste Arbeit leisten müssen, weil die durch Kaffee erzeugte Erregtheit der Stetigkeit der Ideenentwicklung eher abträglich ist; denn die nervöse Geschäftigkeit und Sprunghaftigkeit nach dem Kaffeegenuß ist der Leistungsintensität durchaus nicht immer förderlich, und manch ein Angestellter wird darüber froh sein, daß sein Chef infolge geringeren Kaffeegenusses auch weniger nervös und gereizt ist.
(...) Wenn somit die Geistesarbeiter keine Zusatzkarten erhalten, so nicht etwa deshalb, weil sie vergessen oder ihre berechtigten Bedürfnisse ignoriert worden wären. Die Mitglieder der eidgenössischen Kommission für Kriegsernährung, die den wissenschaftlichen Plan der abgestuften Rationierung ausgearbeitet haben, zählen sich auch zu den Geistesarbeitern; sie haben es aber als physiologisch richtig betrachtet, daß wohl den körperlich schwer Arbeitenden, nicht aber den Geistesarbeitern Sonderrationen zugebilligt werden."
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