Als nächstem in der Reihe der libertären "Geburtstagskinder" widmen wir uns heute dem Stirner-Popularisierer, Individualanarchisten und Skandalautor John Henry Mackay. Hier ein Auszug aus seinem Roman Der Freiheitssucher von 1921 (integral einzusehen auf Projekt Gutenberg-DE), eine Art Glaubensbekenntnis aus dem zehnten und letzten Kapitel:
"Was läßt sich inzwischen tun gegenüber dieser so festgegründeten, nach allen Richtungen hin ausgebauten und scheinbar so unbezwinglichen Gewalt des Staates?
Viel. – Unendlich viel.
Vor allem dies: sich selbst dieser Gewalt entziehen; nicht mitmachen; beiseitestehen.
Denn nicht nur auf das, was ein Mensch tut, kommt es an, sondern oft noch weit mehr auf das, was er unterläßt.
Sich nicht an die Krippe des Staates drängen, als sei sie die einzige Futterstelle; keine »Ehre« darin suchen, einer so verächtlichen Institution, wie er, der Staat, es ist, zu dienen, sondern es als eine Schande betrachten, seine Kraft und Hilfe in den Dienst einer so schlechten Sache zu stellen; auf jede solche, nur mit der eigenen Entwürdigung erkaufte, sogenannte »gesicherte Lebensstellung« verzichten, wie auf alle diese lächerlichen Titel, Orden und Auszeichnungen; vor der Obrigkeit und ihren Organen nicht bei jeder Gelegenheit kriechen und betteln, um sie so in ihrem Hochmutsdünkel auch noch zu bestärken, sondern ihnen entgegentreten, wie anderen Menschen auch, und von ihnen verlangen, anständig behandelt zu werden; nicht in der Ehe, sondern in freien Bündnissen, in gesonderten Haushaltungen und daher unangreifbar gegen jede freche Einmischung von außen, sein Glück suchen und finden; seine Kinder selbst unterrichten oder von selbstgewählten und selbstbezahlten Kräften unterrichten lassen, statt sie fremden Händen auszuliefern, und ihnen von früh auf zeigen, in welcher Welt sie lebten und in welcher sie leben sollten; dem Staat und ebenso der Gemeinde ihre Steuern nicht hintragen, sondern sie sich holen lassen und erst im äußersten Notfall (und dann auch noch unter immer wiederholtem Protest) bezahlen; die Existenz dieses Staates und dieser Gemeinden negieren und sie nur in Anspruch nehmen, wenn das eigene Interesse es gebieterisch erforderte – mit einem Wort: dem Angreifer und seinen Helfershelfern bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Leben so sauer wie nur möglich machen, ihn ärgern, ermüden, enervieren durch Sabotage und passive Resistenz, wo es nur ging – so durch das eigene Leben ein stilles, und eindringliches Beispiel geben, daß es ging, wenn man nur wollte; das und noch manches andere konnte jeder tun, und konnte es schon heute!
Aber der Arbeiter, wurde er gefragt, was konnte der Arbeiter tun, der keine Steuern zahlte, weil er kein Einkommen hatte, das der Besteuerung wert gewesen wäre, und der daher auch keine Steuern verweigern konnte?
Ebenfalls viel.
Alles, was Politik hieß, perhorreszieren; keine politische Partei durch seinen Beitritt stärken; keiner wie immer gearteten Führerschaft Gefolge leisten; sich jeder Wahl enthalten und unter Protest gegen den ganzen Wahlschwindel; die eigene Lage und das, worauf es allein ankam, endlich begreifen lernen – begreifen, daß es besser war, statt darüber zu reden, ob statt zehn nur acht Stunden gearbeitet werden solle, einen Zustand zu erkennen, in dem nur zwei oder drei Stunden gearbeitet zu werden brauchte, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen – mit einem Wort: begreifen, daß die soziale Frage keine politische, sondern eine soziale Frage war und daß sie deshalb so hieß; und daß er, der Arbeiter, eine Waffe besaß, die an der rechten Stelle und zur rechten Zeit, überlegen und klug angewandt, ihn unbesiegbar machte – den Streik.
Dies alles und vieles andere konnte getan werden, wenn es nur getan werden wollte: die Bücher und Flugschriften der Literatur dieser Weltanschauung des individualistischen Anarchismus – (und welche Weltanschauung hatte in den drei Kultursprachen, der französischen, der englischen, der deutschen eine solche Literatur!) – diese in die Ecke gedrückte, überall totgeschwiegene, verfemte Literatur, konnte verbreitet werden, unablässig und überallhin, wo es nur ging; wer reden konnte, mochte reden; wer schreiben, schreiben; und wer nicht selbst bauen konnte, sollte wenigstens helfen, Steine zum Bau herbeizutragen, um so die Mittel zu schaffen, ihn zu vollenden. Und der Einzelne bei allem immer neue Kraft aus dem Gedanken schöpfen, daß die Sache der Freiheit seine Freiheit war und die eigene Befreiung der Lohn für alle Mühen. Würde so, dort wie hier, gehandelt werden, – wahrlich! – der Tag konnte nicht mehr fern sein, wo das soziale Problem seiner tatsächlichen Lösung entgegenging, statt, wie heute, nur erst als Forderung auf dem Papier zu stehen.
Denn wenn es eine Utopie gab, so war es die Utopie der Gewalt. »Utopisten« schalten die Feinde der Freiheit deren Freunde.
Aber nicht die Freiheit, sondern die Gewalt war eine Utopie – ein auf die Dauer unhaltbarer und unmöglicher Zustand der menschlichen Gesellschaft.
Die paar Jahrtausende der Menschheitsgeschichte, die sich übersehen ließen, von ihren barbarischen Urzuständen an bis herauf zu den, leider in vielem noch ebenso barbarischen Zuständen unserer Tage – was waren sie anders, als ein unausgesetzter Kampf um die Gewalt? – als ein ewiger Wechsel dieser Gewalt zu immer neuen Formen ohne die Möglichkeit, sich in einer von ihnen ständig zu behaupten – was waren sie anders als ein vergeblicher Kampf? –
Was waren sie anders, als ein Kampf der Freiheit eben gegen diese Gewalt, der Kampf der einen um ihre Freiheit gegen die Unterdrückungsversuche der anderen? –
Und was waren sie anders, als ein steter, wenn auch langsamer Sieg der Freiheit und ein immer neues Unterliegen der Gewalt? –
Denn die Freiheit war die Siegerin und mußte es sein, weil sie der natürliche Zustand der Gesellschaft war, der einzige, der endlich nach den endlosen Kämpfen von Dauer sein würde.
Die Gewalt war die Utopie, und alle Versuche, ihren Zustand zu einem dauernden zu machen, ein immer neuer Fehlschlag der Feinde der Freiheit, und diese ihre Feinde, nicht ihre Freunde, in Wahrheit – Utopisten!"
Bonus: Aafje Heynis singt Richard Strauss' Vertonung von Mackays Gedicht Morgen!
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