August 27, 2011

281 Jahre Johann Georg Hamann; 241 Jahre Georg Wilhelm Friedrich Hegel

Bleiben wir nach Herder bei der Aufklärung in Deutschland; wobei diesmal ihre Kritik bei Hamann und ihr Abschluss, zugleich der Beginn ihrer Historisierung bei Hegel im Mittelpunkt stehen. Wie es der Zufall (oder war's doch der Weltgeist?) so wollte, sind beide an einem 27. August geboren, im Abstand von genau 40 Jahren (also käme Hegel am Ende einer langen Wanderung durch die Wüste?). Es bietet sich dementsprechend an, auf Hegels Besprechung der Werke Hamanns einzugehen, die zuerst in zwei Artikelserien in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik und dann 1828 als Hamanns Schriften in gesammelter Form erschien. Hieraus Hegels Charakterisierung Hamanns im Kontext seiner Zeit:

"Fassen wir zuerst die allgemeine Stellung auf, in welcher sich Hamann zeigt, so gehört er der Zeit an, in welcher der denkende Geist in Deutschland, dem seine Unabhängigkeit zunächst in der Schulphilosophie aufgegangen war, sich nunmehr in der Wirklichkeit zu ergehen anfing und, was in dieser als fest und wahr galt, in Anspruch zu nehmen und ihr ganzes Gebiet sich zu vindizieren begann. Es ist dem deutschen Vorwärtsgehen des Geistes zu seiner Freiheit eigentümlich, daß das Denken sich in der Wolffschen Philosophie eine methodische, nüchterne Form verschaffte; nachdem der Verstand nun mit Befassung auch der anderen Wissenschaften, der Mathematik ohnehin, unter diese Form den allgemeinen Unterricht und die wissenschaftliche Kultur durchdrungen hatte, fing er jetzt an, aus der Schule und seiner schulgerechten Form herauszutreten und mit seinen Grundsätzen alle Interessen des Geistes, die positiven Prinzipien der Kirche, des Staats, des Rechts auf eine populäre Weise zu besprechen. Sowenig als diese Anwendung des Verstandes etwas Geistreiches an sich hatte, sowenig hatte der Inhalt einheimische Originalität. Man muß es nicht verhehlen wollen, daß dies Aufklären allein darin bestand, die Grundsätze des Deismus, der religiösen Toleranz und der Moralität, welche Rousseau und Voltaire zur allgemeinen Denkweise der höheren Klassen in Frankreich und außer Frankreich erhoben hatten, auch in Deutschland einzuführen. Während Voltaire in Berlin am Hofe Friedrichs II. selbst sich eine Zeitlang aufgehalten hatte, viele andere regierende deutsche Fürsten (vielleicht die Mehrzahl) es sich zur Ehre rechneten, mit Voltaire oder seinen Freunden in Bekanntschaft, Verbindung und Korrespondenz zu sein, ging von Berlin der Vertrieb derselben Grundsätze aus in die Sphäre der Mittelklassen, mit Einschluß des geistlichen Standes, unter dem, während in Frankreich der Kampf vornehmlich gegen denselben gerichtet war, vielmehr in Deutschland die Aufklärung ihre tätigsten und wirksamsten Mitarbeiter zählte. Dann aber fand ferner zwischen beiden Ländern der Unterschied statt, daß in Frankreich diesem Emporkommen oder Empörendes Denkens alles sich anschloß, was Genie, Geist, Talent, Edelmut besaß, und diese neue Weise der Wahrheit mit dem Glänze aller Talente und mit der Frische eines naiven, geistreichen, energischen, gesunden Menschenverstandes erschien. In Deutschland dagegen spaltete sich jener große Impuls in zwei verschiedene Charaktere. Auf der einen Seite wurde das Geschäft der Aufklärung mit trockenem Verstande, mit Prinzipien kahler Nützlichkeit, mit Seichtigkeit des Geistes und Wissens, kleinlichen oder gemeinen Leidenschaften und, wo es am respektabelsten war, mit einiger, doch nüchterner Wärme des Gefühls betrieben und trat gegen alles, was sich von Genie, Talent, Gediegenheit des Geistes und Gemüts auftat, in feindselige, trakassierende, verhöhnende Opposition. Berlin war der Mittelpunkt jenes Aufklärens, wo Nicolai, Mendelssohn, Teller, Spalding, Zöllner usf. in ihren Schriften und die Gesamtperson, die Allgemeine Deutsche Bibliothek, in gleichförmigem Sinne, wenn auch mit verschiedenem Gefühl tätig waren; Eberhard, Steinbart, Jerusalem usf. sind als Nachbarn in diesen Mittelpunkt einzurechnen. Außerhalb desselben befand sich in Peripherie um ihn her, was in Genie, Geist und Vernunfttiefe erblühte und von jener Mitte aufs gehässigste angegriffen und herabgesetzt wurde. Gegen Nordost sehen wir in Königsberg Kant, Hippel, Hamann, gegen Süden in Weimar und Jena Herder, Wieland, Goethe, später Schiller, Fichte, Schelling u.a.; weiter hinüber gegen Westen Jacobi mit seinen Freunden; Lessing, längst gleichgültig gegen das Berliner Treiben, lebte in liefen der Gelehrsamkeit wie in ganz anderen Tiefen des Geistes, als seine Freunde, die vertraut mit ihm zu sein meinten, ahnten. Hippel etwa war unter den genannten großen Männern der Literatur Deutschlands der einzige, der den Schmähungen jenes Mittelpunktes nicht ausgesetzt war. Obgleich beide Seiten im Interesse der Freiheit des Geistes übereinkamen, so verfolgte jenes Aufklären, als trockener Verstand des Endlichen, mit Haß das Gefühl oder Bewußtsein des Unendlichen, was sich auf dieser Seite befand, dessen Tiefe in der Poesie wie in der denkenden Vernunft. Von jener Wirksamkeit ist das Werk geblieben, von dieser aber auch die Werke.

Wenn nun diejenigen, welche dem Geschäfte der Aufklärung verfallen waren, weil formelle Abstraktionen und etwa allgemeine Gefühle von Religion, Menschlichkeit und Rechtlichkeit ihre geistige Höhe ausmachten, nur unbedeutende Eigentümlichkeit gegeneinander haben konnten, so war jene Peripherie ein Kranz origineller Individualitäten. Unter ihnen ist wohl Hamann nicht nur auch originell, sondern mehr noch ein Original, indem er in einer Konzentration seiner tiefen Partikularität beharrte, welche aller Form von Allgemeinheit, sowohl der Expansion denkender Vernunft als des Geschmacks, sich unfähig gezeigt hat.

Hamann steht der Berliner Aufklärung zunächst durch den Tiefsinn seiner christlichen Orthodoxie gegenüber, aber so, daß seine Denkweise nicht das Festhalten der verholzten orthodoxen Theologie seiner Zeit ist; sein Geist behält die höchste Freiheit, in der nichts ein Positives bleibt, sondern sich zur geistigen Gegenwart und eigenem Besitz versubjektiviert. Mit seinen beiden Freunden in Königsberg, Kant und Hippel, die er ehrt und mit denen er auch Umgang hat, steht er in dem Verhältnisse eines allgemeinen Zutrauens, aber keiner Gemeinschaftlichkeit ihrer Interessen. Von jener Aufklärung ist er ferner nicht nur durch den Inhalt geschieden, sondern auch aus dem Grunde, aus dem er von Kant getrennt ist, weil ihm das Bedürfnis der denkenden Vernunft fremd und unverstanden geblieben ist. Hippel steht er insofern näher, indem er seinen inneren Sinn wie nicht zur Expansion der Erkenntnis, ebensowenig der Poesie herausführen kann und nur der humoristischen, blitzenden, desultorischen Äußerung fähig ist; aber dieser Humor ist ohne Reichtum und Mannigfaltigkeit der Empfindung und ohne allen Trieb oder Versuch von Gestalten; er bleibt ganz beschränkt subjektiv. Am meisten Übereinstimmendes hat er mit dem seiner Freunde, mit dem sich das Verhältnis auch in dem Briefwechsel am innigsten und rücksichtslosesten zeigt, mit Jacobi, welcher nur Briefe und, gleichfalls wie Hamann, kein Buch zu schreiben fähig war; doch sind Jacobis Briefe in sich klar, sie gehen auf Gedanken, und diese kommen zu einer Entwicklung, Ausführung und einem Fortgang, so daß die Briefe zu einer zusammenhängenden Reihe werden und eine Art von Buch ausmachen. Die Franzosen sagen: Le stile c'est l'homme même; Hamanns Schriften haben nicht sowohl einen eigentümlichen Stil, als daß sie durch und durch Stil sind. In allem, was aus Hamanns Feder gekommen, ist die Persönlichkeit so sehr zudringlich und das Überwiegende, daß der Leser durchaus allenthalben mehr noch auf sie als auf das, was als Inhalt aufzufassen wäre, hingewiesen wird. An den Erzeugnissen, welche sich für Schriften geben und einen Gegenstand abhandeln sollen, fällt sogleich die unbegreifliche Wunderlichkeit ihres Verfassers auf; sie sind eigentlich ein, und zwar ermüdendes Rätsel, und man sieht, daß das Wort der Auflösung die Individualität ihres Verfassers ist; diese erklärt sich aber nicht in ihnen selbst.(...)"
(zitiert nach Hegel, Werke, 11,  Frankfurt am Main, 1979, p.277-281)

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