Januar 17, 2010

In defense of Progressive Rock (17 und Schluss): The Day After

Die 1976/77 einsetzenden Angriffe von Punk und New Wave, und vor allem der Kritiker in der Musikpresse auf den Progressivrock hatte seine Konsequenzen. Eine ganze Reihe Bands lösten sich auf, alle anderen versuchten - ob aus Eigeninitiative oder auf Druck der Plattenfirma sei dahingestellt - einen neuen Stil zu finden [N.B. In den Zeiten vor Internet und weitestgehend ohne alternative Distributionskanäle, Independent-Labels usw. waren Pop- und Rockmusik extrem trendorientiert. Diese Tendenz nahm jedoch in den 1990ern deutlich ab. Man sieht dies ganz deutlich, wenn man Diskographien von Bands betrachtet, die seit den 1960ern aktiv sind, die bis in die frühen 1990er ständig versuchten, ihren Sound zu "aktualisieren", um chartfähig zu bleiben. Ab den 1990ern blieb dies aus, nicht zuletzt auch eine Folge der Entwicklung der Popmusik zu immer stärkerer Selbstreferenzialität].

Manche Bands verkauften mit dieser Neuausrichtung deutlich mehr Platten als zuvor, in erster Linie natürlich Genesis, deren Sänger/Schlagzeuger Phil Collins zum Liebling aller Schwiegermütter wurde und die zu einer der umsatzträchtigsten Bands des Planeten wurden. Auch deren Ex-Sänger Peter Gabriel konnte mit schlauer Popmusik Erfolge feiern. King Crimson gelang vielleicht die künstlerisch überzeugendste Transition: mit Ex-Zappa- und Bowie-Gitarristen Adrien Belew erfanden sich Fripp und Co. als New Wave/Post-Punk(in den 90ern dann: Tech-Metal)-Band neu, und machten dabei eine Musik, die man immer noch als progressiv bezeichnen konnte. Yes fusionierten - zum Schrecken ihrer Fangemeinschaft - für ein Album mit den Buggles, danach nahmen sie in einer anderen Besetzung mit 90125 eines der bestproduzierten Alben der frühen 1980er auf und konnten sich via MTV ein neues Publikum erobern. Danach verschwanden sie in der Versenkung, zumal ihre Musik in immer seichtere und uninspirierte AOR-Gefilde abdriftete, ehe sie sich in der zweiten Hälfte der 1990er darauf besannen, dass es doch ertragreicher ist, ihre 1970er-Erfolge zu recyceln.

Kansas versuchten dank dem neuen Sänger John Elefante, einem "wiedergeborenen Christen", mit christlicher Rockmusik einen neuen Zuhörerkreis erreichen. Hier mit Crossfire (1982):


Manche Bands veränderten sich zur Unkenntlichkeit. Etwa Le Orme, die sich die Haare abschnitten und auf Synthie-Pop umstiegen: Rosso di sera (1982):


Für deutsche Progbands bot es sich an, auf den Neue Deutsche Welle-Zug aufzuspringen; z.B. Grobschnitt mit Schweine im Weltall (1983):


Auch die Reaganomics hinterließen sichtbare Spuren. Wer hätte sich in den 1970ern träumen lassen, dass ausgerechnet Jethro Tull mal im Nadelanzug zu Synthesizerklängen darüber singen würden, dass Reichtum auch nicht glücklich macht (siehe auch Rush): Lap of luxury (1984):

Bei aller Ironisierung der Wall Street-Kultur der 1980er fragt man sich, ob man damit nicht auch die "Yuppies" als neue Zielkundschaft erreichen wollte.

Ende der 1970er versuchten sich auch einige Prog-Bands mit Ausflügen in die Gefilde der Disco-Musik (selbst Magma!) - immerhin teilte man sich eine Vorliebe für "symphonische Klänge" und Longtracks - was bisweilen zu seltsamen Blüten führte. Etwa bei den italienischen Prog-Urgesteinen New Trolls, die plötzlich wie die Bee Gees klangen:

Immerhin mussten sie sich die Bärte nicht abrasieren.

Disco sollte alsbald als ebenso tot gelten wie Prog. Umso beachtlicher, dass ausgerechnet 1980, auf dem Höhepunkt der homophoben und antihedonistischen "Disco sucks!"-Kampagne, dieses gemeinsame Stück von Olivia Newton-John und dem Electric Light Orchestra veröffentlicht wurde: Xanadu, dreieinhalb Minuten voll unironisch vorgetragenem Optimismus und utopischer Positivität, so zusagen der Gegenentwurf zu No future:


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