Mai 02, 2009

Gustav Landauer

Heute auf den Tag vor 90 Jahren wurde im Zuchthaus München-Stadelheim Gustav Landauer, Sohn eines jüdischen Schuhverkäufers und ehemaliger Beauftragter für Volksaufklärung der Räterepublik Baiern, von Soldaten der Reichswehr unter dem Kommando von Reichsminister Noske (SPD) erschossen. 1933 wurde das Denkmal das 1925 auf dem Münchner Waldfriedhof zum Gedenken an den libertären Sozialisten errichtet worden war, von den Nationalsozialisten zerstört.

Anbei einige Worte Landauers über den anarchistischen Terrorismus, die mir auch noch für heutzutage relevant erscheinen, wo zwar keine Morde mehr im Namen der Anarchie begangen werden, das öffentliche Bild des Anarchismus und der libertären Bewegung jedoch zunehmend wieder auf das Wirken selbstherrlicher schwarzgekleideter Randalierer reduziert wird:

"Ich stehe nicht an, es in aller Schärfe auszusprechen - und ich weiß, daß ich mit diesen Worten hüben noch drüben Dank ernten werde -: Die Attentatspolitik der Anarchisten geht zum Theil aus dem Bestreben einer kleinen Gruppe hervor, es den großen Parteien gleich zu thun. Es steckt Rennomirsucht darin. Wir machen auch Politik, sagen sie; wir sind nicht etwa unthätig; man muß mit uns rechnen. Die Anarchisten sind mir nicht anarchisch genug; sie sind noch immer eine politische Partei, ja, sie treiben sogar ganz primitive Reformpolitik; das Töten von Menschen hat von je her zu den naiven Besserungsversuchen der Primitiven gehört; und Mowbrays Brutus war ein kurzsichtiger Reformpolitiker. Wenn die amerikanischen Machthaber jetzt, ohne Rücksicht auf Rechte und Gesetze, einige ganz unbetheiligte Anarchisten aufhängen ließen, so handelten sie genau so anarchistisch wie irgendein Attentäter, - und vielleicht, eben so wie dieser, aus Idealismus. Denn nur Dogmatiker können leugnen wollen, daß es glühende und aufrichtige Staatsidealisten giebt. Die Anarchisten freilich in ihrer Mehrzahl sind Dogmatiker; sie werden schreien, daß ich, der ich mir auch heute noch das Recht beimesse, meiner Weltanschauung den Namen der Anarchie zu geben, so ohne weiteres meine Wahrheit ausspreche; sie sind auch Opportunisten und werden finden, gerade jetzt sei nicht die Stunde zu solcher Aussprache. Ich aber finde: Jetzt gerade ist der Moment. (...)

Es ist hier nicht meine Absicht, mich in die Psychologie der modernen Attentäter zu versenken. Sie sind vielleicht weniger Helden oder Märtyrer als eine neue Art von Selbstmördern zu nennen. Für einen Menschen, der an nichts glaubt als an dieses Leben und den dieses Leben bitter enttäuscht hat, der erfüllt ist von kaltem Haß gegen die Zustände, die ihn zu Grunde gerichtet haben und die ihm unerträglich zu gewahren sind, kann es ein dämonisch verführerischer Gedanke sein, noch einen von denen da oben mitzunehmen und sich auf dem Umweg über die Gerichte und vor den Augen der Welt demonstrativ ums Leben zu bringen. Und mindestens ebenso verführerisch ist der Gedanke, der tausendfach variiert in der anarchistischen Literatur widerkehrt: der autoritären Gewalt die freie Gewalt, die Rebellion des Individuums entgegenzusetzen.

Das ist der Grundirrthum der revolutionären Anarchisten, den ich lange genug mit ihnen getheilt habe, daß sie glauben: das Ideal der Gewaltlosigkeit mit Gewalt erreichen zu können. Sie wenden sich mit Heftigkeit gegen die "revolutionäre Diktatur", die Marx und Engels in ihrem kommunistischen Manifest als ein kurzes Übergangsstadium nach der großen Revolution vorgesehen hatten. Das sind Selbsttäuschungen; jede Gewaltausübung ist Diktatur, sofern sie nicht freiwillig ertragen, von den befehligten Massen anerkannt ist. In diesem Fall aber handelt es sich um autoritäre Gewalt. Jede Gewalt ist entweder Despotie oder Autorität."


Aus: "Anarchische Gedanken über Anarchismus" (1901)


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