Februar 24, 2009

Kann Marx zum Verständnis der aktuellen Wirtschaftskrise beitragen? (Number 4 in a series)

Erst am 18. Juni 1875 geht Marx in seinem Briefverkehr auf die Krise ein. Er spricht in einem Brief an den Narodnik Pjotr Lawrowitsch Lawrow davon, dass die Krise noch ein halbes Jahr andauern könnte (tatsächlich sollte es erst 1879 wieder aufwärts gehen; allerdings hielt die Depression im wesentlichen bis in die 1890er Jahre an). Zugleich sieht er seine Theorie hier noch durch die Krise bestätigt, da sie, nur sechs Jahre nach dem Krach von 1866-67, zeige dass die Abstände zwischen den Krisen immer kürzer werden. Marx sieht somit, ähnlich wie schon 1858, auch nun wieder das baldige Ende des Kapitalismus nahen:
"Die wirklich bemerkenswerte Phänomen ist die Verkürzung der periodischen Dauer der allgemeinen Krisenzyklen. Ich habe diese Zahl nie für eine konstante, sondern stets für eine abnehmende Größe gehalten; aber das Erfreuliche ist, daß sie so greifbare Anzeichen ihrer Abnahme aufweist; das ist ein schlechtes Omen für die Dauer der bürgerlichen Welt." (MEW, 34, S.145).

Tatsächlich hatte Marx in der ersten französischen Ausgabe von Kapital Band I von 1872-1875 (44 Lieferungen; das Erscheinen dieser Passage lag beim Verfassen des Briefes an Lawrow noch nicht weit zurück) einen Passus zur "stufenweise" vorgenommenen "Verkürzung" der Wirtschaftszyklen zwischen zwei Krisen eingeschoben (vgl. MEW, 23, S.662). Mehr zu den Wirtschaftszyklen jedoch ein andermal; heute gehen wir noch auf einen weiteren Brief an Lawrow ein (21. Oktober 1876), der insbesondere die eher hilfslosen Maßnahmen der zaristischen Regierung angesichts der Krise behandelt:
"Die russische Regierung hat bereits das Signal ihrer Zahlungsunfähigkeit gegeben, indem sie die Bank von Petersburg erklären ließ, ausländische Wechsel würden nicht mehr gegen Gold (resp. Silber) eingelöst. Darauf war ich gefaßt, was aber zu weit geht, ist die Tatsache, daß diese Regierung, bevor sie diese 'unangenehme' Maßnahme traf, wieder die Dummheit begangen und den Versuch gemacht hat, zwei oder drei Wochen an den Wechselkurs an der Londoner Börse künstlich aufrechtzuerhalten. Das hat sie fast zwanzig Millionen Rubel gekostet; ebensogut hätte sie dieses Geld in die Thames werfen können.
Diese absurde Operation - die künstliche Aufrechterhaltung des Wechselkurses auf Kosten der Regierung - gehört dem achtzehnten Jahrhundert an. Heute können sich nur noch die russischen Finanzalchimisten auf so etwas einlassen. Seit dem Tode von Nikolaus haben dies grotesken, sich periodisch wiederholenden Manipulationen Rußland mindestens 120 Millionen Rubel gekostet. So etwas kann nur eine Regierung tun, die allen Ernstes noch an die Allmacht des Staates glaubt. Die anderen Regierungen wissen wenigstens, daß 'Geld keinen Herrn hat'." (MEW, 34, S.219-220).
Mit der zuletzt geäusserten Meinung wäre Marx für die heutigen Wendehalskeynesianer vermutlich ein unverbesserlicher Neoliberaler. In der Tat hat der Staat seither so manches getan und geschaffen, um die "Allmacht des Staates" in Sachen Geldpolitik wieder herzustellen. Es sei daran erinnert, daß es 1876 noch überhaupt keine Zentralbanken im heutigen Sinne gab und der Goldstandard gerade dabei war den Silberstandard abzulösen.

[Übrigens ist in der taz von heute zu lesen: "1873 gab es schon einmal einen großen Wirtschaftseinbruch. Damals wussten die Regierungen nichts über die Steuerung einer Krise und ließen sie einfach laufen. 1879 ging es dann wieder bergauf." Tja: Que sera, sera.]

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