Februar 14, 2009

Kann Marx zum Verständnis der aktuellen Wirtschaftskrise beitragen? (Number 3 in a series)

Setzte sich Marx noch 1857 daran, seine ökonomischen Studien so schnell wie möglich abzuschliessen, um seine Kritik der politischen Ökonomie noch vor dem Zusammenbruch des kapitalistischen Weltsystems fertig zu stellen ("Wenn ich zu spät fertig werde, um noch die Welt für derartige Sachen aufmerksam zu finden, ist der Fehler offenbar my own." schreibt Marx am 22. Februar 1858 an Lassalle; MEW 29, S.551), so findet man zur weitaus schwer wiegenderen und längerfristigen Krise von 1873, die Scott Reynold Nelson zufolge die meisten Ähnlichkeiten zur aktuellen Krise aufweist, im marxschen Briefwechsel, wie er im MEW Band 33 zusammengestellt ist, in etwa... nichts.

Allerdings koinzidiert der marxschen Entschluss seinen Versuch, den Krisenverlauf mathematisch genau berechnen zu können, "fürs erste" aufzugeben, zeitlich mit dem Ausbruch der Krise im Mai 1873:
"Ich habe hier [Samuel, Marx' Anwalt und späterer Übersetzer] Moore eine Geschichte mitgeteilt, mit der ich mich privatim lang herumgebalgt. Er glaubt aber, daß die Sache unlösbar ist, oder wenigstens, wegen der vielen und größtenteils erst auszufindenden Faktoren, die darin eingehn, pro tempore unlösbar ist. Die Sache ist die: Du kennst die Tabellen, worin Preise, Discountrate etc., etc. in ihrer Bewegung während des Jahrs etc. in auf- und absteigenden Zickzacks dargestellt sind. Ich habe verschiednermal versucht - zur Analyse der Krisen -, diese ups and downs als unregelmäßige Kurven zu berechnen und geglaubt (ich glaube noch, daß es mit hinreichend gesichtetem Material möglich ist), daraus die Hauptgesetze der Krisen mathematisch zu bestimmen. Moore, wie gesagt, hält die Sache einstweilen für untubar, und ich habe beschlossen, for the time being es aufzugeben." (Brief von Marx an Engels vom 31. Mai 1873, MEW 33, S.82).

Marx und Engels beschäftigen sich 1873/1874, wie die Lektüre des Bandes 33 zeigt, vorzugsweise mit dem "Platzen" einer anderen "Blase": sie betreiben das Platzen dieser Blase mit um so größeren Engagement selbst. Angesichts der um sich greifenden Weltwirtschaftskrise gibt es für Marx und Engels offenbar nichts wichtigeres als die Arbeiterinternationale von anarchistischem "Gesindel" und "Sektierern", d.h. den Anhängern Bakunins und Proudhons, zu säubern, auch wenn dies praktisch zum Zusammenbruch der Internationale führen sollte (die IAA löst sich 1876 auf, nachdem sie nach ihrem Haager Kongress von 1872, auf dem Bakunin ausgeschlossen und der Sitz des Rates nach New York verlegt worden war, ohnehin bereits nach und nach in die Bedeutungslosigkeit abgerutscht war). Engels schreibt am 20. Juni 1873 an Bebel:
"Nehmen sie z.B. die Internationale. Nach der Kommune [Pariser Kommune von 1871] hatte sie den kolossalsten Erfolg. Die zusammengedonnerten Bourgeois schrieben ihr Allmacht zu. Die große Menge der Mitglieder glaubte, das werde ewig so bleiben. Wir wußten sehr gut, daß die Blase platzen müsse. Alles Gesindel hing sich ihr an. Die in ihr enthaltenen Sektierer wurden üppig, mißbrauchten die Internationale in der Hoffnung, man werde ihr die größten Dummheiten und Gemeinheiten erlauben. Wir litten das nicht. Wohl wissend, daß die Blase einmal platzen müsse, handelte es sich für uns nicht darum die Katastrophe zu verschieben, sondern Sorge zu tragen, daß die Internationale rein und unverfälscht aus ihr hervorgehe. [...]
Übrigens hat schon der alte Hegel gesagt: Eine Partei bewährt sich dadurch als die siegende, daß sie sich spaltet und die Spaltung vertragen kann ["Eine Partei bewährt sich erst dadurch als die siegende, daß sie in zwei Parteien zerfällt; denn darin zeigt sie das Prinzip, das sie bekämpfte, an ihr selbst zu besitzen, und hiemit die Einseitigkeit aufgehoben zu haben, in der sie vorher auftrat. Das Interesse, das sich zwischen ihr und der andern teilte, fällt nun ganz in sie und vergißt der andern, weil es in ihr selbst den Gegensatz findet, der es beschäftigt. Zugleich aber ist er in das höhere siegende Element erhoben worden, worin geläutert er sich darstellt. So daß also die in einer Partei entstehende Zwietracht, welche ein Unglück scheint, vielmehr ihr Glück beweist." G.W.F. Hegel, Phänomenologie des Geistes, Paderborn, s.d., S.463]. Die Bewegung des Proletariats macht notwendig verschiedne Entwicklungsstufen durch; auf jeder Stufe bleibt ein Teil der Leute hängen und geht nicht weiter mit [...]." (MEW 33, S.590-591).
Soll man also angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise mit Hegel und dem Sohn eines Barmener Fabrikbesitzers auch den heutigen Linksparteien raten sich zu spalten?

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