Februar 09, 2015

Unabhängige Griechen und konkrete Antifaschisten

Als am Sonntag vor zwei Wochen das "Bündnis der radikalen Linken" Syriza eine haushohe Mehrheit bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Griechenland erhielt, und die absolute Mehrheit nur um zwei Sitze verfehlte, war der Jubel bei der hiesigen Linken groß. Gerne übersah man dabei, dass von absoluter Mehrheit bei der griechischen Wählerschaft keine Rede sein kann - trotz Wahlpflicht beteiligten sich lediglich 6,3 von 9,9 Millionen eingeschriebenen Wahlern an der Stimmabgabe, wovon 2,2 Millionen, d.h. weniger als ein Viertel, ihr Kreuz bei Syriza machten; über ähnlichen Jubel von ungewohnter Seite wunderte man sich vielleicht, konnte es aber leicht als puren Opportunismus abtun.
Etwas verwundert war man dann doch, als bereits um 10:30 Uhr am kommenden Morgen verkündet wurde, dass eine Koalition stehe - und zwar mit der als "rechtspopulistisch" eingeordneten Partei der "Unabhängigen Griechen" (ANEL). Recht fix ging das - offenbar entspricht ein langwieriges Abwiegen und Diskutieren und Infragestellen in internen Parteigremien nicht mehr dem Bild einer nunmehr regierungsfähigen Partei. Nichtsdestotrotz konnte auch dieser Fakt ebensowenig wie nicht gerade dem linken Verständnis entsprechende Geschlechterquote im neuen Kabinett (100% XY) die Begeisterung der Linken trüben, dass sie jetzt endlich auch irgendwo mitregieren - morgen vielleicht auch hier!
Ob in einer Koalition mit der ADR, die sich auf europäischer Ebene in der gleichen Gruppierung wie die ANEL tummelt (die European Conservatives and Reformers), bei der übrigens Fernand Kartheiser mehr Applaus erhalten hat als jemals auf einer Veranstaltung in Luxemburg (siehe hier)?
In einer freien Tribüne im Lëtzebuerger Land (Ausgabe vom 30. Januar) stellt Parteisprecher David Wagner klar, dass es sich bei der Koalition in Griechenland nicht um eine Querfront handelt, sondern vielmehr um "konkreten Antifaschismus" (so der Titel des Beitrags: "L'antifascisme concret"). Und das geht so: zwar sei die ANEL, "mis à part son approche de la dette", eine reaktionäre Partei, jedoch wären, mal abgesehen von den sektiererischen Kommunisten, alle sonstigen möglichen Koalitionspartner durch und durch "wirtschaftsliberal". Aus diesem Grund hatte Syriza gar keine andere Wahl als mit den Patrioten der ANEL zu koalieren und nahm deswegen erst gar keine Sondierungsgespräche mit anderen Parteien auf (immerhin wäre eine von der "Demokratischen Linken" (DIMAR) angeregte Dreierkoalition der Linken inklusive der abgehalferten Sozialisten ebenfalls eine Möglichkeit gewesen).
Der Wirtschaftsliberalismus sei jedoch nichts anderes als die "extrême droite économique". Konkreter Antifaschismus bedeute also Bekämpfung des Wirtschaftsliberalismus: "Les antifascistes sérieux combattent le fascisme en luttant contre le libéralisme économique et les injustices sociales (...)", während unseriöse Antifaschisten rechte Parteien bekämpfen.
Syriza hätte gerade den Fortschritt der noch böseren Rechten, der Neonazis von der "Goldenen Morgenröte", gestoppt, während die linken und rechten Wirtschaftsliberalen diesen befördert hätte (unsereiner wundert sich ja eher, dass die Goldene Morgenröte trotz des massiven Einsatzes der Staatsgewalt - Verhaftung fast der gesamten Führungsriege... - nichtsdestotrotz drittstärkste Kraft im griechischen Parlament wurde...).
Nun zeugt es zwar nicht gerade von einer hohen Geschichtskenntnis, im "Wirtschaftsliberalismus" die Ursache des Faschismus zu verorten. Weder das Nachkriegsitalien der frühen 1920er noch die späte Weimarer Republik waren von einem besonders ausgeprägten Liberalismus geprägt... - und ob dieser Terminus so recht auf die von vielen Griechen als "Kolonialisierung" empfundene politische Rahmensetzung der Geldgeberstaaten, inklusive Steuererhöhung und Aushebelung der Tarifautonomie der sog. Sozialpartner zugunsten einer national (d.h. staatlich) gelenkten Lohn(mässigungs)politik passt? (vergleiche etwa was der berüchtigte polnische Schocktherapeutler Leszek Balcerowicz zu den Auflagen der Troika und ihren Folgen schreibt).
Jedenfalls wäre, auf Luxemburg angewendet, eine Koalition der Lénk mit der ADR tatsächlich die logische Folge einer solchen Überlegung: sind nicht auch hier sämtliche sonstigen Parteien "neoliberal"? Und die KPL sektiererisch? Die Linke hat also gar keine andere Wahl, mit und trotz Kartheiser usw.
Aber soweit wird es nicht kommen. Aber immerhin kann Déi Lénk jetzt, wie seit Jahrzehnten ihre Vorväter und -bilder der LSAP, Übung darin erlangen, politische Rückschläge als Erfolge zu rationalisieren, Kompromisse als unumgänglich (denn TINA) zu charakterisieren und allgemein: zurück zu rudern (so, so oder auch so). Erst so wird man wirklich regierungsfähig, Genossinnen und Genossen, und kommt an die Pfründe der Macht!
 
Lesenswertes über Syriza, ihren sozialpatriotischen Diskurs, ihren Koalitionspartner (darunter der offenbar nur knapp an einem Ministerposten vorbei gerutschte und in Luxemburg als Bettel-Basher - "Europa der Schwuchteln!" - bekannte Nikolopoulos findet man übrigens in der letzten Jungle World - weiteres zum Verhältnis zum Chefideologen des Nationalbolschewismus Dugin hier.