Laut Donald Trump sei das "big problem" der Vereinigten Staaten die allinvasive
"political correctness", für die er, wie in den letzten Wochen ja häufig bewiesen, schlicht keine Zeit habe. Mit solchen Aussagen, punktet Trump natürlich gerade bei der "Man wird ja wohl noch sagen dürfen..."-Crowd, über die sich Bloggerkollege JayJay
unlängst ausgelassen hat. Selbst ein Multimillionär wie Trump kann sich zeitgeistgerecht als
Opfer positionieren, er spricht für all diejenigen, die das Gefühl haben, dass man ihnen den Mund verbieten will.
Dabei entspricht dieser Opferdiskurs in keiner Hinsicht der Realität: Niemand verbietet Trump den Mund, Im Gegenteil: je ungehobelter, unsachlicher und "politisch unkorrekter" seine Aussagen sind, desto grösser ist seine Medienpräsenz und -resonanz (wenn auch als Skandalon). Zensur findet nicht statt.
Nichtsdestotrotz kann sich Trump als Opfer positionieren, weil das Recht auf freie Rede mittlerweile häufig mit dem Recht auf freie Rede
ohne Widerspruch verwechselt wird. Wer meine Ansichten als logisch inkonsistent, faktisch falsch oder als beleidigend bezeichnet, beschneidet meine Meinungsfreiheit (anders gesagt: mein "Recht", recht zu haben). Typisches Beispiel: ein etwas übereifriger "Israelkritiker" wird von Unterstützern des israelischen Staates als "Antisemit" bezeichnet. In der Folge schreit er zeter und mordio, dass damit seine Meinungsfreiheit angegriffen sei... und erhält schliesslich einen gerichtlichen Bescheid, der seinen Gegnern
verbietet, ihn als Antisemit zu bezeichnen. Dem entspricht auch die zunehmende Pathologisierung des politischen oder weltanschaulichen Gegners, indem abweichende Meinungen, etwa die Kritik einer Religion, als Phobien bezeichnet werden. Den Vogel abgeschossen hat in dieser Hinsicht die konservative französische Illustrierte
Valeurs actuelles, die vor einiger Zeit ein "
Observatoire de la droitophobie" ins Leben gerufen hat. Ein Linker ist also heute nicht mehr bloss "links", er ist "rechtophob".
Man verstehe mich allerdings nicht falsch. Ich bin selber kein Verfechter der sogenannten "political correctness". Es gibt tatsächlich Auswüchse, wie die gerichtliche Verfolgung von "Meinungsdelikten", auch hier in Luxemburg, die wir ja bereits öfter hier kritisiert haben, oder auch Gruppendynamiken, die zu Gesinnungsschnüffelei und vorauseilender Selbstzensur führen können. Ein Beispiel hierfür sind die Praktiken von Studierendenvertretungen an angelsächsischen Universitäten, die sich übrigens genau wie Trump gemeinhin mit einem Opferdiskurs legitimieren wollen. Solche Tatbestände tragen natürlich dazu bei, dem Schlagwort der Diktatur der political correctness eine gewisse Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Nichtsdestotrotz ist der implizite Vergleich mit Verhältnissen in marxistisch-leninistischen Diktaturen arg überzogen. In der UdSSR hätte etwa dieser Blog nicht existieren können, ebensowenig wie die allermeisten Kommentare auf rtl.lu. Auch heutzutage in vielen Staaten dieser Erde ist freie Meinungsäusserung oft mit Gefahr für Leib und Leben verbunden, in China, Ägypten oder Iran etwa.
Über gefährdete Meinungsfreiheit im Westen zu reden, ist eigentlich jammern auf hohem Niveau. Tatsächlich hat in den letzten Jahrzehnten, auch aufgrund der Entwicklung neuer, kostengünstiger Medien, eine Demokratisierung der freien Meinungsäusserung sondergleichen stattgefunden. Wir sind unendlich von Zuständen entfernt, wie sie etwa Martin Mulsow in seinem lesenswerten Buch
Prekäres Wissen über die frühe Neuzeit schildert. Es ist auch kein Zufall, dass die Katholische Kirche bereits vor Jahrzehnten ihren
Index librorum prohibitorum abgeschafft hat und auch kein
nihil obstat in Neupublikationen mehr vermerkt. Tatsächlich wäre eine solche Aufgabe heutzutage logistisch nicht mehr zu bewältigen.
Der Nachteil dieser Demokratisierung der freien Meinungsäusserung ist bekannt: was gestern bloss in der Kneipe nach Feierabend verkündet wurde, findet man nun auf Facebook, Twitter oder in Kommentaren auf den Webseiten der Massenmedien wieder. Regeln der Faktizität, logischen Fundiertheit, des zwischenmenschlichen Umgangs oder auch der Rechtschreibung und Grammatik scheinen dabei vernachlässigbar. Dies hat zu einem "short-termism" und zu einer Hysterisierung der politischen Debatte geführt (wobei man natürlich auch die Qualität früherer politischer Auseinandersetzungen nicht überschätzen sollte).
Wie man dieser Tatsache beikommen kann, weiss ich auch nicht; zumindest hat jeder die Wahl sich nicht darauf einzulassen. Letztlich ist der einzelne User für seine eigenen Aussagen verantwortlich. Er muss auch damit leben können, dass andere ihm widersprechen oder ihn widerlegen. Manchmal kann dies sogar zu einem persönlichen Erkenntnisgewinn führen.